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Wie ein Parlament sich bis auf die Knochen blamiert

Viktor Hermann

Der Datenschutz ist seit einigen Jahren eines der am heißesten debattierten Themen in Europa. Die Privatsphäre des Einzelnen gerät immer mehr in Bedrängnis. Innenminister und Geheimdienste möchten am liebsten alles über jeden wissen. Sie geben wenigstens vor, ihre Schnüffelei mit Lausch und Raster diene unser aller Sicherheit vor Terror und organisierter Kriminalität.

Google und Facebook sind so neugierig, dass es schon ans Unerträgliche grenzt. Auch wenn sie uns weismachen wollen, dass all das Wissen, das sie über ihre User ansammeln, nur zu deren Besten sei, so können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass es den beiden Unternehmen vor allem um ihre besten Einnahmen geht.

Adressenhändler jagen hinter möglichst vielen privaten Daten her, um damit bei der werbetreibenden Wirtschaft Geld zu machen. Je mehr sie nämlich über Konsumenten und potenzielle Kunden wissen, desto besser können sie auf deren Geldtaschen zielen.

Überall erwarten sich Bürger von der Politik mehr Schutz und bessere Kontrolle der Datenjäger aus der Wirtschaft. Stattdessen fällt ihnen die Politik in Deutschland in den Rücken.

In Berlin hat man dieser Tage ein Musterbeispiel dafür geliefert, wie wenig sich Volksvertreter um die Sicherheit privater Daten scheren. Es zeigt aber auch, wie Schlamperei und Desinteresse den Ruf eines Parlaments beschädigen, eine politische Kaste bloßstellen und ein ganzes Land der Lächerlichkeit preisgeben können.

Der deutsche Bundestag beschloss kürzlich in zweiter und dritter Lesung eine Novelle zum Meldegesetz, die jegliche persönliche Information, die im Melderegister lagert, frei verfügbar macht für jeden Adressenhändler, der diese Information anfordert.

Bemerkenswert an diesem Vorgang ist zweierlei: Erstens der Zeitpunkt des Beschlusses und die Geschwindigkeit, mit der er gefasst wurde. Zweite und dritte Lesung dauerten inklusive Abstimmung insgesamt 57 Sekunden. An der Abstimmung nahmen 30 von 620 Abgeordneten teil. Irgendein Schlaumeier hatte die Abstimmung zu jenem Zeitpunkt angesetzt, als sich Deutschlands Fußballer anschickten, sich von den Italienern aus der Europameisterschaft schießen zu lassen.

Zweitens: Die Geschwindigkeit, mit der sich alle politischen Parteien von ihrem eigenen Beschluss distanzierten. Jetzt will es keiner gewesen sein, nicht einmal die, die auf einem Video klar erkennbar für die Gesetzesnovelle gestimmt hatten. Und jetzt könnte man den Eindruck gewinnen, es wären nicht 30 Abgeordnete am Beschluss beteiligt gewesen, sondern gar keiner.