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Aus den Fehlern der Vergangenheit lernen

Es ist Zeit für die EU, die Signale aus Griechenland zu verstehen.

Marianne Kager

Als Griechenland 2009 vor dem Bankrott stand, hat die EU geholfen. Zuerst zögerlich, dann aber doch mit zwei Hilfspaketen. Das Geld, das bereitgestellt wurde, diente hauptsächlich der Umschuldung. Das heißt, die fällige Forderungen privater Gläubiger wurden zurückgezahlt und durch Hilfskredite ersetzt. Im Gegenzug wurden Griechenland rigide Sparmaßnahmen und Reformen auferlegt, "die weh tun", wie Angela Merkel sagte.

Fünf Jahre später ist nicht nur der Staat, sondern auch die Bevölkerung bankrott. Die Arbeitslosenrate beträgt heute 27 Prozent (1,24 Millionen Menschen), bei den Jugendlichen sind es 60 Prozent. Mehr als 800.000 Menschen bekommen weder Arbeitslosenunterstützung (322 Euro) noch haben sie eine Krankenversicherung; Sozialhilfe gibt es nicht. Die Haushaltseinkommen sind um 38 Prozent gefallen, 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Die Selbstmordrate ist um 25 Prozent gestiegen, die Kindersterblichkeit um 50. Hunderttausende von kleinen Unternehmen sind bankrott gegangen. Die Staatsschulden stiegen trotz rigiden Sparkurses von 120 Prozent 2009 auf derzeit 175 Prozent. Auch das ist eine Folge der durch den Sparkurs ausgelösten Rezession, die die Wirtschaftsleistung um 25 Prozent schrumpfen ließ.

Wie kam es dazu? Ein unrealistisches Konzept traf auf schwache politische Strukturen. Die Strukturreformen wurden von der alten Regierung höchst halbherzig vorangetrieben. Die Verwaltung ist höchst ineffizient; Steuervermeidung und -hinterziehung sind an der Tagesordnung. Bis heute hat das statistische Amt keine Daten über die Unternehmenssteuern. Die "Eliten" aus Wirtschaft und Politik haben es sich weiter "gerichtet", während der Durchschnittsbürger ums Überleben kämpft. Das jüngste Wahlergebnis in Griechenland ist daher auch ein Ruf nach sozialer Gerechtigkeit.

Die Euro-Länder, allen voran Deutschland, wiederum sollten sich eingestehen, dass die Politik, die Krise nur mit einer rigorosen Sparpolitik zu bekämpfen, in Europa zur Stagnation der Wirtschaft geführt hat und die Gefahr einer Deflation heraufbeschwor.

Was Griechenland betrifft, so haben schon 2010 Ökonomen wie jene des in Brüssel hoch geschätzten Think-Tank Bruegel aufgezeigt, dass die Sparauflagen des Hilfspaketes in eine Rezession führen werden, was mittlerweile auch der Internationale Währungsfonds zugibt. Griechenland kann weder seine Schulden ordnungsgemäß bedienen noch Maßnahmen zur Konjunkturerholung setzen.

Was tun, wenn einerseits die EU aus formalen Gründen, aber auch wegen der Nachahmungsgefahr, einem weiteren Schuldenerlass nicht zustimmen kann, und andererseits ein Austritt Griechenlands der maximale Schaden nicht nur für Griechenland, sondern auch für die EU ist? Denn da würde sofort die Frage nach den anderen Krisenländern gestellt.

Um eine größere Katastrophe abzuwenden, sollte sich die neue griechische Regierung von ihrer Wahlkampfrhetorik verabschieden und die EU sollte sich eingestehen, dass man den Bogen des Sparens überspannt hat. Hilfe ist noch immer die billigste Lösung für alle.

Man hat noch Spielraum bei Zinsen und Laufzeiten der Hilfskredite und erst recht bei den Forderungen der privaten Gläubiger. Vorgezogene Strukturhilfen für Griechenland, mit denen man notwendige Infrastrukturinvestitionen finanziert und als Gegenleistung rasche Reformen in Verwaltung und bei oligopolistischen Wirtschaftsstrukturen verlangt, könnten ein Weg sein.