SN.AT / Kolumne / Hinter den Zahlen / Hinter den Zahlen

Das 300-Milliarden-Euro-Ding des Jean-Claude Juncker

Nicht die Krisenländer Südeuropas investieren derzeit am wenigsten. Es sind die reichen Länder im Norden. Neue Strategien in der Wirtschaftspolitik sind deshalb notwendig.

Marianne Kager

Europa leidet unter einer massiven Investitionsschwäche. Die Investitionsquote (Investitionen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) sank von 2000 bis 2014 in der EU um mehr als 16 Prozent. Und es sind nicht die Krisenländer des Südens, die die geringsten Investitionsquoten haben, sondern es sind die reichen Länder im Norden. Besonders dramatisch sind die Werte für Deutschland, das im Durchschnitt der Jahre 2000-2014 mit einer Investitionsquote von 18,2 Prozent des BIP nur mehr von Zypern und England unterboten wurde.

Jean-Claude Juncker, der neue Präsident der EU-Kommission, hat also recht, wenn er die Ankurbelung der Investitionen zu einem zentralen Thema macht. 300 Mrd. Euro mehr an Investitionen in Europa in den nächsten drei Jahren - das steht ganz oben auf der Agenda. 100 Mrd. Euro pro Jahr, das sind über vier Prozentpunkte mehr an Investitionen. Um dieses Volumen in Gang zu setzen, reichen die Mittel der Union nicht aus. Juncker braucht also die aktive Mithilfe der Mitgliedsstaaten und er muss vor allem Deutschland und die nördlichen Staaten überzeugen, dass die Schaffung von zusätzlicher Nachfrage, und dazu gehören vor allem die öffentlichen Investitionen, in ihrem eigenen Interesse ist.

Das ist ein schwieriges Unterfangen, denn dabei geht es um eine grundsätzliche Neuformulierung der wirtschaftspolitischen Strategie. Man muss akzeptieren, dass Europas Krise nicht allein eine fiskalische ist, sondern dass die enormen realen Ungleichgewichte in Europa, die sich in den hohen Überschüssen in den Leistungsbilanzen der nördlichen Mitgliedsstaaten (6 bis 8 Prozent des BIP) manifestieren, ein ebenso großes Problem sind und die Rückkehr zum Wachstumstrend verhindern.

Warum? Leistungsbilanzüberschüsse sind doch gemeinhin ein Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Stimmt, doch die Kehrseite der Medaille ist, dass Leistungsbilanzüberschüsse auch bedeuten, dass das gesamtwirtschaftliche Sparen eines Landes höher ist als die im Inland getätigten Investitionen. Die Differenz wandert über Investitionen oder Veranlagungen ins Ausland. Das kann aus der Sicht eines einzelnen Landes rational sein, wenn der Ertrag im Ausland höher ist als jener im Inland. Doch ist er das? Nehmen wir das Beispiel Deutschland. Der Ertrag der im Ausland veranlagten deutschen Leistungsbilanzüberschüsse war in den vergangenen Jahren negativ. Der kumulierte Verlust von 2008-2012 macht 200 Mrd. Euro aus, das Land hat in vier Jahren 10 Prozent seines BIP im Ausland verloren. Deutschlands Regierung hätte besser daran getan, die Ersparnisse der Bürger in Infrastrukturinvestitionen, Forschung und Entwicklung zu stecken. Der Budgetsaldo wäre dann nicht null, sondern marginal negativ, was für Deutschland kein Problem wäre. Andererseits würde die derzeit gefährliche Investitionslücke verringert, Deutschland würde sich selbst und Europa zu höherem Wachstum verhelfen. Angela Merkel und Co. davon zu überzeugen wird die Mammutaufgabe für Juncker sein.