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Die Schulden blieben, das Wachstum sank

Der Maastricht-Vertrag war unmissverständlich.

Marianne Kager

Strikte Limits für Budgetdefizit und Staatsverschuldung sollten den Mangel einer gemeinsamen Fiskalpolitik kompensieren und verhindern, dass man für fiskalpolitische Sünden anderer Mitgliedsstaaten zur Kasse gebeten wird. Und um sich da eisern festzulegen, wurden gleich vorsichtshalber keine Vorkehrungen für eine gemeinsame Krisenbekämpfung getroffen.

Dann kam die Krise, und es fehlten die notwendigen Instrumente.

Die Geldpolitik war an die EZB ausgelagert. Die tat nach anfänglichem Zögern ihr Bestes, um die Folgen der Krise abzufedern. Doch die Geldpolitik kann in einer Währungsunion auf nationale Besonderheiten nicht Rücksicht nehmen. Und sie kann die Fiskalpolitik nur flankieren, nicht ersetzen.

Im Schock von 2008/09 öffneten die Staaten ihre fiskalpolitischen Schleusen. Die Konjunktur sollte stabilisiert, der Zusammenbruch des Bankensystems verhindert werden. 2010 kam die harsche Wende. Die im Maastricht-Vertrag auferlegten Beschränkungen - von Deutschland von anderen Mitgliedsstaaten eingefordert - zeigten Wirkung. Trotz aller Warnungen schwenkte die Eurozone auf einen strikten Sparkurs ein. Als Folge hat sich die Wirtschaft in der Eurozone bis heute nicht erholt. Die Unterauslastung der Wirtschaft (die Output-Lücke) stieg zwischen 2011 und 2013 von -1,1 auf -3,1 Prozent und lag 2014 immer noch bei -2,8 Prozent. Trotz gesunkener Budgetdefizite sind wegen der geringeren Wirtschaftsleistung die Staatsschulden von 86,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2011) bis 2014 auf 94,3 Prozent gestiegen. Der Grund: Man unterschätzte die negativen Wirkungen des kollektiven Sparens in der Eurozone. Das Londoner Forschungsinstitut CEPR rechnet es vor: Die Sparmaßnahmen in den Jahren 2011-2013 machten 3,9 Prozent des BIP aus. Gleichzeitig verringerte der negative Wachstumseffekt der Budgetkonsolidierung das BIP um 7,7 Prozent. Und langfristig werden Qualifikationsverluste von Langzeitarbeitslosen und sinkende Investitionsquoten das künftige Wachstumspotenzial der Eurozone weiter verringern.
In Summe bedeutet das sehr viel Wohlstandsverlust für alle.

Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl sagte einst, eine Währungsunion ohne Fiskalunion sei unmöglich. Richtig. Da eine Fiskalunion nicht absehbar ist, muss man Ersatzinstrumente finden. Dazu bedarf es einer effektiven und konjunkturadäquaten Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken und einer zumindest minimalen Harmonisierung der Steuer- und Fiskalpolitik. Und nicht zuletzt bedarf es eines Instrumentariums für gemeinsame fiskalpolitische Maßnahmen in Krisenzeiten. Der ESM (European Stability Mechanism) ist nur eine Notfallhilfe. Ein Konjunkturausgleichsfonds, also ein gemeinsamer Reservetopf, in dem Mittel angespart werden, die bei Bedarf für beispielsweise Investitionsprogramme bereitgestellt werden, könnte helfen. Und die Einsicht, dass nur Wachstum die Verschuldungsprobleme lösen kann, ist längst überfällig.