Was ist los mit Europa? Die aktuelle Situation nur auf die Finanzkrise zurückzuführen, wäre zu einfach. Auch wenn die Finanzkrise der Auslöser war, sie ist sicher nicht die einzige Ursache der Krise. Wäre dem so, könnte man noch einigermaßen optimistisch sein, aber so?
Schon vor der Krise differierten die Inflationsraten immer mehr und somit innerhalb der Währungsunion auch die realen Zinsen. Es wundert daher nicht, dass in jenen Ländern, in denen die Realzinsen gegen Null tendierten, die privaten Schulden stiegen und sich Immobilienblasen entwickelten.
Oder die Jugendarbeitslosigkeit. Auch die betrug schon vor der Krise im EU Durchschnitt 16 Prozent. Mittlerweile hat sie statistisch "schön gerechnete" 21 Prozent erreicht. Spanien und Griechenland nähern sich der 50 Prozent Marke, in Italien sind es 30 Prozent. Hier entsteht eine "Lost Generation", deren Eingliederung in den Arbeitsprozess nur schwer gelingen wird. Zweifelsohne wird das die "sozialpolitische Bombe" der nächsten Jahrzehnte.
All das hat man einfach lange Zeit ebenso wenig zur Kenntnis genommen wie die exorbitanten Leistungsbilanzdefizite oder die überbordende Verschuldung mancher Mitgliedsstaaten.
Europas Probleme heißen daher nicht nur Finanz- und/oder Staatsschuldenkrise. Da haben sich schon vorher makroökonomische Ungleichgewichte aufgebaut, die heute die Überwindung der Krise so schwierig machen.
Weder der Binnenmarkt und schon gar nicht die Währungsunion können ohne eine frühzeitige Abstimmung der nationalen Wirtschaftspolitiken funktionieren. Und der Stabilitätspakt, der sich lediglich auf die öffentliche Verschuldung konzentriert, reichte hierfür auch dann nicht aus, wenn sich die Mitgliedsstaaten daran hielten.
Das hat man auch in Brüssel erkannt und so hat man 2011 das sogenannte europäische Semester eingeführt - nach der Devise: eine bessere Abstimmung führt auch zu besseren Ergebnissen. Es steht für ein Verfahren, in dem die Mitgliedsstaaten frühzeitig ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen melden. Die Kommission beurteilt diese und macht eine EU-weite Folgenabschätzung, anhand derer der Rat (also die Mitgliedsstaaten gemeinsam) Empfehlungen an die einzelnen Länder richtet.
Soweit, so gut. Nur leider kommen die Botschaften in den Mitgliedsstaaten nicht an. Wie so oft, werden die in Brüssel von den Ministern getroffenen Entscheidungen zu Hause nicht einmal ignoriert. In zehn der Mitgliedsstaaten, darunter die großen wie Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, kam es nicht einmal zu einer parlamentarischen Diskussion dieser Empfehlungen. Auch Österreich gehört zu dieser Gruppe. Ohne abgestimmte Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten wird sich Europa nicht kurieren lassen. Und daher wird sich die EU auch in den nächsten Jahren bestenfalls durchwursteln.