Vergangene Woche überraschte eine Meldung auf den Wirtschaftsseiten: Die Deutsche Bundesbank plädiert für deutlich höhere Löhne. Zuerst befürwortete ihr Chefvolkswirt öffentlich Lohnsteigerungen von drei bis 3,5 Prozent. Und dann bekräftigte selbst Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, diese Aussage, indem er meinte, drei Prozent wären ein guter Richtwert.
Der Vorstoß von Weidmann und Co. ist insofern erstaunlich, als die Bundesbank bisher in der Regel vor zu hohen Lohnforderungen warnte. Entsprechend empört fielen auch die Reaktionen der deutschen Industrie aus, die der Bundesbank "wenig Weitblick" vorwarf und sich gegen Einmischungen in die Tarifautonomie verwahrte. Glaubwürdig ist das allerdings nicht. Hat man doch solche Argumente von den Arbeitgebern nie gehört, wenn die Bundesbank für Lohnzurückhaltung plädierte.
Sofort waren Gerüchte im Umlauf, warum der Bundesbankpräsident einen solchen Vorstoß unternehme. So hieß es, Weidmann habe den Vorschlag lediglich gemacht, um die von der EZB geplanten Ankaufe riskanter Wertpapiere von den Banken zu verhindern. Einer weiteren Lockerung der Geldpolitik der EZB zur Bekämpfung der Deflationsgefahr wolle die Bundesbank mit einem Gegenmodell entgegenwirken, das da heißt: "Höhere Lohnsteigerungen sollen für Inflationsdruck sorgen."
Egal, was die Beweggründe des Präsidenten der Deutschen Bundesbank waren, der Vorschlag ist im Hinblick auf eine Konjunkturankurbelung in Europa goldrichtig. Denn eines ist klar: Die geldpolitischen Instrumente können vielleicht die Deflationsspirale abwenden, für eine Konjunkturbelebung in Europa sind sie unzureichend.
Was Europa braucht, ist mehr Nachfrage. Und wer eignet sich besser als Deutschland, die Initialzündung zu geben? Umso mehr, als die Lohnquote in Deutschland in den letzten fünfzehn Jahren besonders stark gefallen ist.
Die Lage der deutschen Wirtschaft ist so gut, dass sie Lohnsteigerungen von drei bis 3,5 Prozent nominell, was real einen Anstieg zwischen gut zwei und 2,5 Prozent bedeutet, durchaus verkraften kann. Eine Volkswirtschaft, die seit Jahren Leistungsbilanzüberschüsse zwischen sechs und acht Prozent ihres BIP erwirtschaftet, ist international so konkurrenzfähig, dass sie sich keine Gedanken über ihre Wettbewerbsfähigkeit machen muss. Die Reallohnsteigerungen beleben nicht nur die deutsche Konjunktur, sondern über vermehrte Importe auch die im restlichen Europa. Wenn zum Beispiel die Deutschen mehr Urlaub machen, dann hilft das der Wirtschaft in Südeuropa, aber auch in Österreich. Und es hilft vor allem, die Achillesferse der Eurozone, nämlich reale Ungleichgewichte, die sich in den hohen Leistungsbilanzüberschüssen - wie eben jene Deutschlands - manifestieren, zu entschärfen.
Die Bundesbank ist mit diesem Vorschlag noch lange nicht zu einem Vertreter Keynesianischer Wirtschaftspolitik geworden, aber sie beweist mehr Weitblick als die deutschen Unternehmerverbände.