Auch wenn führende Medien in Deutschland sich größte Mühe geben, den Skandal um gefälschte Abgaswerte als alleiniges Problem von VW zu beschreiben, ist hier bestenfalls der Wunsch der Vater des Gedankens. Sicher trifft es zuallererst VW, doch es trifft auch den Standort Deutschland und das staatliche Normungssystem, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und den USA.
Beginnen wir mit VW. Strafen, Reparaturkosten, Steuerrückzahlungen und Schadenersatzforderungen, die auf VW zukommen, werden Milliarden verschlingen, dazu kommen geringere Verkaufszahlen. Die gesamten Auswirkungen sind nicht quantifizierbar.
Dass von den Abgasmanipulationen nur wenige Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung wussten, ist schwer zu glauben. Diese Darstellung erinnert an die Schutzbehauptungen der Finanzbosse, die von den Manipulationen bei Referenzzinssätzen und Devisenkursen angeblich auch nichts wussten und die Verantwortung auf involvierte Mitarbeiter schoben. Wenn Manipulationen, die die Existenz eines Konzerns gefährden, ohne Wissen des Vorstandes möglich sind, dann sind Führung und Kontrolle ernsthaft zu hinterfragen.
VW ist nicht nur Deutschlands größtes Unternehmen, sondern auch Aushängeschild für deutsche Qualitätsarbeit. Es ist Zweckoptimismus, zu glauben, dass so ein Skandal nicht auf die Glaubwürdigkeit der gesamten deutschen Industrie abfärbt. Und die Auswirkungen spüren nicht nur die VW-Töchter in Europa, Amerika und Asien, sondern Abertausende Zulieferbetriebe in Deutschland und weltweit. Allein aus Österreich belaufen sich die Zulieferungen an VW auf mehr als zehn Mrd. Euro.
Mit den Abgasmanipulationen bei VW ist aber nicht nur ein Unternehmen unglaubwürdig geworden, sondern auch eine Technologie. Das Verkaufsargument für Dieselmotoren war bisher hohe Effizienz, wenig Verbrauch und die Umweltfreundlichkeit. Leider stimmen weder der vom Hersteller angegebene Verbrauch noch die angegebenen Emissionen. Warum solche Schwindeleien in einer Branche möglich sind, deren Produkte einer offiziellen Zulassung bedürfen und die ständig auf dem Prüfstand von Autofahrerclubs stehen, ist schwer verständlich. So ist für die (europäische) Typengenehmigung in Deutschland das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg zuständig. Das prüft aber nicht selbst, es beauftragt spezialisierte Prüfanstalten wie die regionalen TÜV oder auch DEKRA, beides Vereine, deren Mitglieder auch Industrieunternehmen sind. Gemeinsam ist den Vereinen, dass sie selbst riesige internationale Konzerne sind, die sich auf die Typisierung und technische Überwachung spezialisiert haben. Der TÜV Nord hat 10.000 Beschäftigte in 70 Ländern; DEKRA macht mit 35.000 Mitarbeitern in 50 Ländern 2,5 Mrd. Euro Umsatz, davon die Hälfte im Automotiv-Sektor.
Sie alle sind Unternehmen, die vom Staat beauftragte Zertifizierungen machen, gleichzeitig auch Industrieunternehmen als Kunden haben und sich gegenseitig konkurrenzieren. Ein Interessenkonflikt, den es nicht nur in Deutschland gibt und den man aus der Finanzkrise kennt. Auch hier fehlte die staatliche Beaufsichtigung von Ratingagenturen, die die Bonität der Banken bewerteten, die sie gleichzeitig als Kunden hatten.