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Von Konzernen an die Kette gelegt

Das Freihandelsabkommen der EU mit den USA pervertiert den Rechtsstaat.

Marianne Kager


Investitionsschutzabkommen sind nichts Neues. Sie waren ursprünglich dazu gedacht, ausländische Investoren in Ländern mit einem nicht funktionierenden Rechtssystem vor einer entschädigungslosen Enteignung zu schützen. In solchen Fällen können diese Investoren außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit bei einem internationalen Schiedsgericht klagen. Aber welchen Sinn haben solche Abkommen zwischen Staaten mit funktionierenden Rechtssystemen, wie in den USA oder in Europa? Häufig geht es bei diesen Abkommen längst nicht mehr um Enteignungen im eigentlichen Sinn. So finden sich unter anderem im Investitionsschutzkapitel des geplanten Freihandelsabkommens der EU mit den USA (TTIP) Formulierungen wie "die legitimen Erwartungen eines Investors schützen". Wen wundert es also, wenn immer mehr internationale Konzerne Industriestaaten klagen, wie etwa der Energiemulti Vattenfall aus Schweden Deutschland wegen des Atomausstiegs; oder der US-Pharmariese Eli Lilly Kanada wegen Nichtanerkennung von Patenten; oder die kanadische Lone Pine wegen des Verbotes von Schiefergasgewinnung; oder Philip Morris mit Australien und Uruguay gleich zwei Länder wegen der Beschränkung der Zigarettenwerbung.

Bei all diesen Verfahren geht es nicht um den "Schutz vor ungerechtfertigter Enteignung", sondern darum, mögliche Gewinneinbußen ausländischer Investoren aufgrund neuer Umwelt- oder Gesundheitsgesetze zu verhindern. Kritiker sprechen von einer Perversion des Rechtsstaates und von der Unvereinbarkeit mit unseren demokratischen Grundsätzen.

Aus guten Gründen.

Schiedsgerichtsverfahren haben die Züge einer Privatisierung des Rechts: Weder sind die Unabhängigkeit der Richter (von den Parteien bestimmte Anwälte oder Experten) noch die Öffentlichkeit des Verfahrens (verschlossene Türen), die Veröffentlichung des Urteils oder eine Berufungsmöglichkeit gegeben. Ebenso wenig ist der Grundsatz der "Gleichheit vor dem Gesetz" gewahrt, wenn man ausschließlich ausländische Konzerne vor möglichen Ertragseinbußen infolge neuer Regulierungen (z. B. Umweltschutzauflagen) schützt.

Es geht um den Verlust der nationalen Regulierungsautonomie. Investitionsschutzabkommen ermöglichen zunehmend, dass Privatpersonen als Richter nationale Gesetze, Gerichtsurteile oder Entscheidungen der Exekutive überprüfen, außer Kraft setzen oder Strafen über die betroffenen Staaten verhängen. Darüber hinaus landen viele neue Gesetzesentwürfe schon aufgrund der Klagsdrohung internationaler Konzerne in der Schublade. Kanada und Neuseeland haben deswegen ihre Anti-Raucher-Gesetze zunächst verschoben. Und die Strafen der Schiedsgerichte können für die beklagten Staaten durchaus bedrohliche Ausmaße annehmen. Der Ölmulti Occidental hat Ecuador wegen des Entzugs von Bohrlizenzen geklagt und 2,4 Mrd. US-Dollar zugesprochen bekommen. Das entspricht drei Prozent der ecuadorianischen Wirtschaftsleistung.

Darüber hinaus sind Verfahren vor Schiedsgerichten teuer. Internationale Anwaltskanzleien wie auch Prozessfinanzierer, die sich auf Vorfinanzierung solcher Verfahren gegen hohe Gewinnbeteiligung spezialisieren, und Finanzinstitute, die die Finanzierung solcher Klagen zu risikoreichen Wertpapieren bündeln, wittern das große Geschäft.

Weder für die USA noch für die EU gibt es einen Grund, sich dermaßen an die Kette internationaler Konzerne legen zu lassen. Die Zivilgesellschaft formiert sich mit Recht dagegen.