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Die Welt hinterm Wilden Kaiser

Sylvia Wörgetter

Es ist Mitte der 1970er-Jahre im ländlichen Tirol. Jeden Samstag steigt ein Mädchen die Stufen zu einer Wohnung im ersten Stock hinauf: Klavierstunde. Die alte Dame, die sie erteilt, trägt naturweißen Pagenkopf. Den zierlichen Körper hüllt sie in lange Gewänder und schmückt ihn mit schwerem Silber aus fernen Ländern. Sie hat ein blaues Zimmer und ein gelbes. In jedem steht ein Konzertflügel. Im Winter riecht es nach Äpfeln, die auf den Schränken lagern.

Es heißt, die Wirren des Krieges hätten die deutsche Pianistin und ihren Mann nach St. Johann in Tirol verschlagen. Dort bringt sie nun jungen Leuten Mozart, Beethoven und Chopin bei. In unserem Fall sind es ein paar Sonaten, recht viel mehr ist mangels kindlichen Musiktalents nicht drin. Das macht aber nichts, denn anderes bleibt von diesen Stunden: ein Blick für Schönes - "schau' nur, dieses Blau!" - und unbändige Neugierde auf die Welt, die hinter den Gipfeln des Wilden Kaisers wartet. Danke, Frau Werth!

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