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Aufwachen im Krieg

Daryna Melashenko lebt in einem Vorort von Kiew. Sie hat sich trotz aller Gefahren entschieden zu bleiben. Für die SN schreibt sie ein Tagebuch aus dem Krieg.

Daryna Melashenko

Am Abend des 23. Februars ging es mir nicht besonders gut. Ich nahm spät am Abend eine Sendung über urbane Ökologie mit meiner Kollegin auf und moderierte die ganze Sache. Meine Kollegin war fröhlich und sprach sehr schnell, ein bisschen viel zu schnell für unsere zukünftigen Zuschauer.

Normalerweise kann ich solche Situationen mit meinen Interviewgästen gut regeln, indem ich sie bei langen Monologen unterbreche und meine Fragen stelle. An diesem Abend war alles anders. Ich fühlte mich gelähmt und konnte nicht unterbrechen. Sogar Zuhören fiel mir schwer. Die ganze Sendung lang war ich in einer Art Trance. Nur ein bisschen lächeln ging noch.

Nach der Sendung ging ich nach Hause, sprach mit meinen Eltern, aß zu Abend und schlief in meinem Bett in einem gemütlichen Zimmer ein. Am Morgen erwachte ich durch eine Explosion.


Als ich die Explosion gehört hatte, sprang ich aus meinem Bett und öffnete hastig das Fenster. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie real war. Ich wollte aber einen weiteren Beweis haben - zum Beispiel schwarzen Rauch sehen. Es gab keinen. Ich ging in das Schlafzimmer meiner Eltern. Sie waren wach. Sie hatten natürlich auch das Geräusch gehört. Wir schalteten den Fernseher ein. Bald wussten wir, dass es solche Explosionen an vielen Orten in der Ukraine gab.

Ein bisschen später kam noch eine Nachricht. Wladimir Putin hatte gegen 4 Uhr in der Früh eine spezielle Operation auf dem ukrainischen Territorium erklärt und kommandiert.


Die Russen sagen nämlich immer "auf der Ukraine" und nicht "in der Ukraine". Das ist eine sprachliche Kleinigkeit, die viele Ukrainer seit Jahrzehnten stört. Mich auch. Nach meinem Gefühl bedeutet sie so viel wie "nicht in deinem Lande, sondern auf unserem Territorium".


An den ersten Kriegstag habe ich jetzt nur sehr vage Erinnerungen, als ob alles bereits ein Jahr her wäre. Mir fällt nur diese Trance ein, die mich dann auch am ersten Tag völlig vereinnahmte. Ein Gefühl der kompletten Hilflosigkeit. Ich freue mich, dass ich ein bisschen weiß, wie man damit umgehen soll. Eine knappe Stunde saß ich unter einer Bettdecke im Sessel zusammen mit meiner Katze und einer Tasse Tee. Das Gefühl war vorbei. Ich musste aufstehen und etwas machen.


Es wurde extrem viel geschimpft. Auch bei uns zu Hause, was zu friedlichen Zeiten überhaupt nicht der Fall ist: Meine Mutter ist Lehrerin für ukrainische Sprache und Literatur und kommt aus einer Familie der Ikonenmaler. Das heißt, es besteht bei uns ein komplettes Schimpfverbot und sogar "zum Teufel" gilt bei uns als ein starkes Wort.


Am Abend erfahren wir, was ein russisches Kampfschiff von 13 ukrainischen Soldaten auf der Smiinyj-Insel zu hören bekam. Sie setzten nach dem Vorschlag zu kapitulieren noch den Funkspruch ab: "Russisches Kampfschiff, verpiss dich". Diese Worte hört man jetzt an jeder Ecke in der Ukraine.

Daryna Melashenko, 26, ist interkulturelle Projektmanagerin und Übersetzerin für Ukrainisch, Deutsch und Englisch. Sie lebt in Bojarka, einem Vorort von Kiew. Von 2019 bis 2020 war sie im Rahmen eines EU-Freiwilligenprojekts in Salzburg bei der Radiofabrik journalistisch tätig.

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