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Über sieben Brücken musst du gehen...

Ein Physiker provoziert mit spektakulärer Aktion zum chinesischen Parteitag.

Josef Dollinger
Peng Lifa forderte die Entfernung von Machthaber Xi Jinping.
Peng Lifa forderte die Entfernung von Machthaber Xi Jinping.

Der Mann ist auf einer Straßenbrücke im Pekinger Stadtteil Haidian zunächst nicht weiter aufgefallen. Mit einem Bauarbeiterhelm auf dem Kopf, bekleidet mit einer orangen Warnweste, machte er sich am Geländer der Brücke hoch über einer Kreuzung zu schaffen. Nur wenige Menschen dürften im hektischen Nachmittagsverkehr dem vermeintlichen Bauarbeiter Beachtung geschenkt haben.

Das änderte sich aber schlagartig, nachdem er eine schwarze Rauchquelle entzündet und Transparente auf dem Brückengeländer entrollt hatte. "Wir wollen essen, keine Covidtests! Freiheit statt Lockdowns! Reformen statt Kulturrevolution! Freie Wahlen statt einem Führer! Seid keine Sklaven, seid Bürger!" Und als ultimative Provokation für Chinas Machthaber: "Stürzt Diktator Xi Jinping!" Ein Megafon plärrt diesen Satz in Dauerschleife hinunter zu den Schaulustigen.

Die handgemalten roten Schriftzeichen auf weißem Hintergrund sind auch ein optischer Kontrast zu den allgegenwärtigen Parteiparolen, die überall in der Stadt die Bevölkerung auf den Parteitag einstimmen sollen. Die traditionsreichen roten Banner mit weißen Schriftzeichen preisen die Arbeit der Kommunistischen Partei und des Vorsitzenden Xi Jinping.
Es dauert nur ein paar Minuten, bis Polizisten den Mann festnehmen, das Feuer löschen und die Transparente entfernen. Hunderte Menschen filmen mit ihrem Handy diese Szenen und stellen sie ins Netz.

Damit wird diese Ungeheuerlichkeit in Windeseile verbreitet - der "Brückenmann" wird zur Ikone ähnlich jenem Mann, der sich 1989 den Panzern entgegengestellt hat.

Die Zensoren sind in der anschließenden Löschorgie gefordert wie schon lange nicht mehr. Alle Bilder der Brückenaktion werden gelöscht, Suchbegriffe wie "Sitong-Brücke", "Transparent", "Held" oder "Mut" bringen keine Ergebnisse mehr. Allein das Liken oder Weiterleiten eines Bildes oder Kommentars führt zur Sperre des Social Media Accounts. In Schanghai wird ein pensionierter Lehrer deswegen verhaftet. Die Nervosität und Hilflosigkeit der Zensoren lassen sich auch daran ablesen, dass am Tag danach sogar der Suchbegriff "Peking" gesperrt wurde. Ein rotes Transparent über dem Eingang eines Restaurants verschwindet auch nach wenigen Stunden. Darauf stand: "Ich habe nichts zu tun, außer ein Transparent aufzuhängen."

Der mutige Brückenmann heißt Peng Lifa, ein Physiker, der vor seinem Protest ein Manifest ins Internet gestellt hat mit dem Titel "Strategie zur Entfernung von Xi Jinping". Auf Fotos ist ein freundlich lächelnder Familienvater zu sehen. Über sein weiteres Schicksal ist bisher nichts bekannt. Der Vorfall wird in den chinesischen Medien verschwiegen.

Auf einem Twitter-Video sieht man seine Verhaftung auf der Brücke, er leistet keinen Widerstand. Sein Protest war gut geplant, perfekter Ort, perfektes Timing, klare Botschaft - Peng Lifa muss genau gewusst haben, was ihn erwartet. Aber er musste wohl über diese Brücke gehen. Und er wird mehr als sieben dunkle Jahre überstehen müssen. Wir sollten ihn nicht vergessen.