Der Spruch des Verfassungsgerichtshofs von Freitag lässt nur zwei Fragen offen. Erstens: Warum hatten die Richter tote Hermeline um den Hals hängen? Und zweitens: Was machen wir jetzt mit den letzten 30 Jahren?
Denn die Hermelinverbrämten haben die Bundespräsidenten-Stichwahl nicht zuletzt deshalb aufgehoben, weil die Wahlergebnisse schon vor 17 Uhr an die Medien weitergegeben worden waren. Etwas, das man laut Bundeswahlbehörde seit 30 Jahren so macht.
Nach Adam Hermelinkragen müssten jetzt also (wenn sie angefochten worden wären) sämtliche Wahlen der vergangenen 30 Jahre wiederholt werden. Anders gesagt: Wir befinden uns innenpolitisch gesehen im Juli 1986. Und wie ist das so? So:
Österreich hat soeben einen neuen Bundeskanzler bekommen, an den sich große Hoffnungen knüpfen. Er heißt Franz Vranitzky und leitet (was es selbstverständlich nie gegeben hat) eine rot-blaue Koalition. Der blaue Vizekanzler heißt Norbert Steger, der Wissenschaftsminister Heinz Fischer.
Die Stimmung in der Koalition ist schlecht. Beide Regierungsparteien bestreiten jedoch energisch, dass die Koalition vorzeitig platzen könnte. Sie planen sogar einen Neustart. In Wahrheit ist Österreich - was man im Juli noch nicht ahnt - keine vier Monate von vorgezogenen Neuwahlen entfernt. Sie werden ein politisches Erdbeben auslösen.
Auch sonst kommt einem allerhand bekannt vor an diesem Juli 1986. Der Salzburger Landeshauptmann heißt Wilfried Haslauer. In der niederösterreichischen Landesregierung sitzt schon seit Jahren Erwin Pröll. Im ORF steht gerade eine Neuwahl der Führung an, was eine Polit-Packelei der Sonderklasse auslöst.
Der Bundespräsident absolviert seine letzten Amtstage. In den "Salzburger Nachrichten" erscheinen wohlwollende Bilanzen über seine Amtszeit und Vorberichte über die bevorstehende Amtsübergabe. Sie erfolgt von Rudolf Kirchschläger an Kurt Waldheim.
In Wien schickt sich ein gewisser Christian Kern gerade an, sein Publizistikstudium zu beginnen. Reinhold Mitterlehner werkt bereits in der oberösterreichischen Wirtschaftskammer. Sebastian Kurz bereitet sich gewissenhaft auf seine Geburt vor. Jörg Haider setzt zum Sprung an die FPÖ-Spitze an.
Und Franz Vranitzky wird in einem SN-Interview von Gerhard Steininger gefragt, warum es mit der SPÖ zuletzt so steil bergab gegangen sei. Der neue Kanzler antwortet: "Unsere Partei hat im Laufe der Jahre an Schwung eingebüßt und möglicherweise auf die eine oder andere Strömung der Gesellschaft zu wenig aktiv reagiert." - Wie gesagt, das war vor 30 Jahren. Heute ist das ja alles ganz anders.