Gemeinhin gilt ja ÖVP-Obmann als der unmöglichste Job der innenpolitischen Welt. Doch soeben erleben wir eine Umwälzung. Jetzt ist es der SPÖ-Vorsitzende, dem das ungeteilte Mitleid des Beobachters gelten muss.
In gleich drei wichtigen Fragen sieht sich Kern derzeit mit einer heillos zerstrittenen Partei konfrontiert. In der Migrationsfrage stehen einander die Anhänger der Willkommenskultur und die "Panzer auf den Brenner"-Fraktion gegenüber. In der Frage des Sicherheitspakets lautet die Frontstellung Bürgerrechte kontra Polizeibefugnisse. Und die Koalitionsfrage entzweit die SPÖ in vehemente Gegner und Befürworter der rot-blauen Option.
Alle drei Fragen hängen miteinander zusammen und - das ist Kerns Pech - dominieren zurzeit den Wahlkampf. Pech deshalb, da der SPÖ-Chef auf beide Parteiflügel Rücksicht nehmen muss und daher in seinen Aussagen zu einer seltsamen Unverbindlichkeit und in seinen Handlungen zu einer ständigen Nachjustierung gezwungen ist. Beispiel Sicherheitspaket: Lange wehrte sich die SPÖ gegen das Drängen der ÖVP, noch vor der Wahl eine Erweiterung der Polizeibefugnisse zur Terrorabwehr zu beschließen. Dann lenkte sie doch ein und erklärte sich zu einem gemeinsamen Begutachtungsentwurf bereit, den sie jetzt aber wieder durch Sonne und Mond schießt.
Mit einem solchen Schlingerkurs kann man keinen Wahlkampf führen. Wie sehr es im Gebälk der SPÖ knirscht, dringt aus dieser nach wie vor disziplinierten Partei nur selten nach außen. Man ist auf einzelne Wahrnehmungen angewiesen. Etwa auf Berichte über Handgreiflichkeiten in der Parteizentrale zwischen Vertretern der Bundes- und der Wiener Landespartei. Oder - ganz aktuell - die Meldung vom Rücktritt von Kerns Wahlkampagnenleiter ausgerechnet am Beginn des Wahlkampfs. Offiziell erfolgte der Rückzug aus privaten Gründen, inoffiziell wegen schwerer interner Differenzen über den richtigen Wahlkampfkurs.
Den sollen nun zwei hochrangige Vertreter des linken und des rechten SPÖ-Flügels festlegen, nämlich Kulturminister Thomas Drozda und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Sie sollen Sprachregelungen für Kern aushandeln, die beide Flügel zufriedenstellen.
Doch ein Wahlkampf braucht keine mühsam ausgehandelten Sprachregelungen, sondern griffige Slogans und Themen. Die Kurz-ÖVP hat das für sie passende Thema gefunden. Sie inszeniert sich - was sie am Höhepunkt der Migrationskrise 2015 freilich ganz und gar nicht war - als Sicherheitspartei.
Für die SPÖ sind Migration und Sicherheit aus den genannten Gründen extrem ungünstige Themen. Ihr Bemühen muss daher dahin gehen, den Wahlkampf auf für sie passendere und intern unstrittige Themenfelder, etwa auf Soziales und Pensionen, zu lenken. Ob der SPÖ das gelingt, wird die Wahl entscheiden.