Die Schauspielerei war in den Augen der Politik lange Zeit ein verachtenswertes Gewerbe. Der römische Kaiser Augustus verabscheute die Bühnenkunst (und ihre damaligen horizontalen Begleiterscheinungen) sogar derart, dass er ein Gesetz erließ, mit dem er Senatoren und deren Nachkommen bei Strafe verbot, Schauspielerinnen zu ehelichen.
Heute ist das anders. Heute üben Politiker selbst die Schauspielerei aus. Selbstverständlich nur in der Vertikalen, aber auf einem Niveau, das den Vergleich mit jenem der gefei ertesten Bühnengrößen nicht zu scheuen braucht. Man denke nur an Bundeskanzler Christian Kerns mittlerweile berühmt gewordene "Ich hol mir, was mir zusteht"-Rede vom vergangenen Donnerstag.
In dieser Rede berichtete er dem schockierten SPÖ-Bundesparteirat mit allen Zeichen ehrlicher Empörung von einem Klüngel böser Reicher, die ihre Kinder in - horribile dictu! - teure Privatschulen schicken. Obwohl er selbst genau das Gleiche tut, brachte er den Satz mit einer völlig überzeugenden Mischung von tiefster Abscheu und höchster Missbilligung über die Lippen. Das Reinhardt-Seminar steht eben nicht von ungefähr in Wien.
Auch die ÖVP-Spitze muss dort schon Perfektionskurse absolviert haben. Denn in Wahrheit lässt ihr die neue Wahlkampfstrategie der SPÖ den Feitl im Sack auf-, zu- und wieder aufspringen, und zwar derartig, dass man mit der daraus resultierenden Reibungswärme locker hundert Einfamilienhäuser heizen könnte. Doch davon lässt sich der kühle Mime Sebas tian Kurz nichts anmerken.
In einer Iffland-Ring-verdächtigen Darbietung tut er seit Monaten so, als kenne er nur Worte, die mit "Sich" beginnen, in der Mitte ein (typisch Mann!) "er" haben und mit "heit" enden. Diese dreisilbige Einsilbigkeit wird bei ihm bis zum 15. Oktober auf dem Spielplan stehen. Da braucht man sich gar keine Hoffnung auf Abwechslung machen.
Auch an die kleineren Parteien stellt der Wahlkampf hohe schauspielerische Anforderungen. Ihr Spitzenpersonal, ob grün, pink, transparent oder sonst wie, muss glaubwürdig darstellen, nicht bis vier, sondern nur bis zehn zählen zu können. Sprich: Diese Parteien müssen mimisch vermitteln, dass sie keinen Gedanken an die Vier-Prozent-Hürde verschwenden, ja gar nicht wissen, was das überhaupt sein soll, sondern felsenfest von der eigenen Zweistelligkeit überzeugt sind. Wer schon einmal versucht hat, ein zweistelliges Felsenfest darzustellen, weiß, wie schwer das ist.
Wie im modernen Theater üblich, ist in das Schauspiel des Wahlkampfs natürlich auch das Publikum eingebunden. Es bemüht sich tapfer, Interesse in sein Antlitz zu zaubern.