SN.AT / Kolumne / Scholls Welt

Alle Separatisten sind gleich. Manche sind gleicher.

Russland bekämpft den tschetschenischen Separatismus hart - unterstützt aber gleichzeitig Separatisten in der Ukraine.

Die Schießerei in Grosny fand nicht zufällig am 20. Jahrestag des Beginns des ersten Tschetschenienkrieges statt. Auch wenn die russische Führung jederzeit betont, dass in Tschetschenien Frieden herrsche und Ramsan Kadyrow - Putins Mann fürs Grobe in Tschetschenien - alles unter Kontrolle zu haben behauptet, sind derlei angeblich eingefrorene Konflikte eben doch nie so eingefroren wie es scheint. Moskau reagierte umgehend, indem es ukrainische Abgeordnete beschuldigte, den Anschlag in Grosny organisiert oder wenigstens unterstützt zu haben.

Wer die Geschichte des Tschetschenien- und des Ukrainekonfliktes kennt, wird verstehen, wie das zusammenhängt. Die unabhängige Ukraine hat tschetschenische Untergrundkämpfer ab 1991 zumindest indirekt unterstützt. Viele tschetschenische Flüchtlinge, die in Europa nicht willkommen waren, konnten in der Ukraine halbwegs sicher sein. Das erklärt umgekehrt, warum jetzt Leute Kadyrows im Donbass-Gebiet die sogenannten Separatisten - wahrscheinlich auf Geheiß aus Moskau - aktiv unterstützen.

Kadyrow und sein Clan sind Putin verpflichtet, daher auch in der Pflicht, in der Ostukraine Putins Politik tatkräftig zu unterstützen.

Die tschetschenischen Untergrundkämpfer, die immer noch vorhanden sind, auch wenn sie seltener in Erscheinung treten, sind wiederum ganz automatisch auf der Seite der ukrainischen Führung. Interessant ist nur, wie sich die russische Führung in dieser Frage bewegt.

Einerseits darf in Tschetschenien neuerdings nicht mehr der mörderischen Deportation unter Stalin gedacht werden. Andererseits behauptet die gleiche russische Führung, die Intervention in der Ostukraine sei ganz und gar legitim, denn dort seien die Brüder und Schwestern russischer Sprache an Leib und Leben bedroht.

Worüber in Russland nicht geredet wird, ist die Tatsache, dass Kiew durchaus mehr objektive Gründe hat, die Ostukraine als Teil der Ukraine insgesamt zu betrachten, als Russland Tschetschenien. Aber derlei logische Überlegungen spielen für die heutige russische Führung keine Rolle. Die spart eigene Separatismusprobleme aus und spricht dafür viel vom Kosovo, der schließlich auch von aller Welt anerkannt worden sei. Nach der heutigen russischen Lesart ist eben Separatismus nicht gleich Separatismus. Die Tschetschenen, die gegen Russland kämpfen, sind also Terroristen, während die Rebellen in der Ostukraine Freiheitskämpfer sind. Besser lässt sich der Zynismus der heutigen russischen Führung nicht beschreiben.