Ich gehöre zu jener Generation, die mit dem Gefühl aufgewachsen ist, was an Entsetzlichem im 20. Jahrhundert geschehen ist, werde sich nie mehr wiederholen können. Das 21. Jahrhundert, so sagte man es uns, so dachten wir, werde ein Jahrhundert von Frieden und Harmonie sein. Natürlich haben wir uns geirrt, und natürlich hat man uns etwas vorgemacht, als man uns einzureden versuchte, das Grauen könne sich nicht wiederholen. Aber haben wir wirklich nichts gelernt, nichts begriffen?
Griechenland mittels einer gnadenlosen Austeritätspolitik in die Knie zwingen zu wollen, das bedeutet, Millionen Menschen Hunger und Not auszusetzen. Haben wir das nicht schon erlebt im schrecklichen 20. Jahrhundert - am Beginn jener rabenschwarzen Zeiten, die sich angeblich nie wiederholen sollten? Russland setzt sich in der Ukraine über alle internationalen Verträge und Konventionen hinweg - und der Rest der Welt schaut strikt weg. Auch das haben wir schon erlebt in jenem 20. Jahrhundert, als die schlimmsten Verbrechen hingenommen wurden im Namen irgendwelcher Befindlichkeiten einiger weniger. Und die menschenverachtenden Beschlüsse des EU-Mitglieds Ungarn und seines absoluten Herrschers Viktor Orbán? Auch die sind Objekt auffälligen Wegschauens durch den Rest der Welt.
Hinzu kommt der unaufhaltsam scheinende Vormarsch religiöser Fanatiker fast allerorts. Auch das mit all seinen schrecklichen Folgen hatten wir schon - und nicht nur in Europa.
Und dann sind da vor allem die Boote, die im Mittelmeer versinken, und die Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Mord und Vergewaltigung flüchten und im reichen Europa nicht aufgenommen werden. Hier zeigt sich die Unmenschlichkeit, die immer weiter um sich greift und Mauern wieder aufbaut, die vor gar nicht so langer Zeit erst abgerissen worden sind. Hier ist ein Europa, das seine eigene Schande vergessen hat und heute neue Schande auf sich lädt. Nicht zu vergessen die Zeltstädte und Lager für Menschen in Not - Zeugnisse einer fatalen Politik des Egozentrismus und der Menschenverachtung. Wir haben also nichts gelernt aus der Geschichte. Oder doch?
Es gibt Menschen, die all diese besorgniserregenden Vorgänge nicht einfach so hinnehmen wollen. Es gibt Menschen, die ihre Stimme gegen das allgemein um sich greifende Unrecht erheben. Es gibt Menschen, die sich nicht vereinnahmen lassen wollen.
Diese Menschen sind eine Minderheit, aber eine wichtige. Denn sie könnten erreichen, dass wir nicht ganz untergehen im Egoismus, im Mangel an Solidarität, in der Unmenschlichkeit. Wenn spätere Generationen fragen werden: "Was habt ihr getan, als . . .?", werden diese Stimmen, die heute eine Minderheit sind, unsere Ehre retten. Das ist eine sehr kleine, aber die einzige Hoffnung, die uns bleibt.