Die Feiern anlässlich des Mauerfalls in Berlin waren berührend und fröhlich und alle Redner sprachen von den schrecklichen DDR-Zeiten und davon, wie gut das neue Leben nach dem Ende der Diktatur geworden sei, trotz Krise und Problemen, die es auch heute gibt.
Aber keiner sprach von den Anfängen. Keiner erwähnte, was dem Anfang dieser Diktatur vorausgegangen war und die Entstehung der DDR überhaupt erst ausgelöst hat.
Keiner sprach mit einem Wort von den Verbrechen, die all dem vorausgegangen sind. Von der Machtergreifung Hitlers in Deutschland und schließlich von den Pogromen an Juden in Deutschland und Österreich am 9. November 1938. Keiner sprach von dem blutigen, verheerenden Krieg, den Nazideutschland bald danach vom Zaun brechen sollte und dessen Ende eben auch die Schaffung von zwei deutschen Staaten mit sich brachte. Keiner sprach auch von der Geschichtslüge, die die DDR 40 Jahre lang aufrechterhielt, indem sie behauptete, die bösen ehemaligen Nazis seien alle in der Bundesrepublik Deutschland daheim, während es in der DDR nur aufrechte Antifaschisten gebe. Die nicht fragte, wer in welcher arisierten Wohnung saß und wer welche arisierten Möbel oder anderes sein Eigen nannte. So wie nach der Wende, also nach dem Ende der DDR alle von Enteignungen unter dem kommunistischen Regime sprachen, aber keiner etwas davon wissen wollte, dass es sich bei vielen dieser Enteignungen um arisiertes, also zuvor Juden gestohlenes, Eigentum handelte. Als die Mauer am 9. November 1989 aufging, waren wir alle euphorisch. Auch ich, die damals Korrespondentin in Deutschland war. Aber ich erinnere mich auch an das bittere Gefühl in der Magengegend, als ich mir bewusst machte, welches Datum da so bejubelt wurde. Der Jubel war durchaus berechtigt - die Tatsache, dass das Novemberpogrom - der Beginn der Schoah, eines der größten Verbrechen an der Menschheit überhaupt - davon völlig in den Hintergrund gedrängt wurde, aber ist grundlegend falsch. Denn hätte man damals, wie es jetzt immer so schön heißt, "den Anfängen gewehrt", hätte es weder die DDR noch die niederträchtige Mauer durch Deutschland gegeben, wäre es nicht möglich gewesen, ein Land quer durch Familien- und andere Beziehungen zu zerreißen und den Versuch, dieses Land zu verlassen, zum Verbrechen zu stempeln. Das sollte man nie vergessen, wenn man am 9. November die Öffnung der Mauer feiert.