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Unser Umgang mit Flüchtlingen muss sich ändern

Viele Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Jene, die das Glück haben, nicht bedroht zu sein, haben die Pflicht zu helfen.

Vor 100 Jahren begann die systematische Vertreibung und Vernichtung der Armenier durch das türkische Regime. Gut 20 Jahre später begann die systematische Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Vor 70 Jahren setzte das Ende des Zweiten Weltkriegs auch dieser Vernichtungsgeschichte ein Ende. Aber nicht der Notwendigkeit für viele Menschen, ihre Heimat zu verlassen, um anderswo ein menschenwürdiges Leben zu finden.

Inzwischen sind wir wieder umgeben von brutalen Konflikten, in denen vor allem Unbeteiligte zu Schaden kommen. Und wieder sind die Unbeteiligten, die Ärmsten der Armen, gezwungen, sich aufzumachen, auf der Suche nach Sicherheit und Ruhe. Dass diese Flüchtlinge jetzt wieder vermehrt an unsere europäischen Türen klopfen, hat auch damit zu tun, wie gut wir - die Europäer, die sich seinerzeit selbst "nie wieder" geschworen haben -

im Wegschauen geworden sind. Ja, in Syrien wird gefoltert und gemordet. Aber was geht uns das an? Wir schicken Menschen, die unter Lebensgefahr aus diesem Krieg fliehen konnten, trotzdem an der Brenner-Grenze zurück nach Italien. Obwohl diese traumatisierten, verfolgten Menschen nur eines wollten: sich zu Verwandten nach Deutschland oder Schweden durchschlagen.

Wir schicken ohne Rücksicht und ohne jede Empathie ganze Familien nach Tschetschenien zurück und nehmen damit in vielen Fällen den Tod der Betroffenen in Kauf. So wie im Fall von Herrn I., der abgeschoben wurde, noch bevor sein Asylantrag behandelt worden war; der dann monatelang in einem russischen Gefängnis saß, ohne Prozess und Urteil wieder freigelassen wurde; der versuchte, sich zu seiner Frau und den Kindern nach Österreich durchzuschlagen, in Polen festgesetzt - und nach Russland zurückgeschickt wurde. Und von dem seither jede Spur fehlt.

Es muss uns klar sein, dass wir nicht so tun können, als ginge uns all das Schreckliche, das rund um uns geschieht, nichts an. Wir müssen nicht nur auf der politischen Ebene versuchen, dem Morden ein Ende zu setzen; wir müssen auch damit beginnen, den Menschen, die vor dem Entsetzen fliehen können, Sicherheit und ein Leben zu bieten. Ganz ohne jede Diskussion über Quoten oder Dublin-Vereinbarungen.

Europa muss den traumatisierten Menschen erlauben, dorthin zu gehen, wo ihre Angehörigen leben. Es muss diesen Menschen erlauben, zu arbeiten und sich ein Leben dort aufzubauen, wo sie nicht an Leib und Leben bedroht sind. Und nein - es geht nicht darum, "alle" aufzunehmen. Denn "alle" kommen ja nicht.