So wie immer, wenn die Welt mit Gräueln in einer Weltgegend beschäftigt ist, vergessen alle sofort die Verbrechen, die anderswo begangen werden. Die Anschläge von Paris haben daher folgerichtig die Lage in der Ukraine aus den Nachrichten verdrängt. Was nicht heißt, dass das Problem dort gelöst sei - oder auch nur zum "eingefrorenen Konflikt" geworden ist.
Denn nur wenige Tage nachdem die Aufregung über die Schandtaten von Paris etwas abgeflaut war, stellten wir fest, dass in der Ukraine nach wie vor offener Krieg herrscht. Immer noch kämpfen "Separatisten" in der Ostukraine mit regulären ukrainischen Truppen um den Flughafen von Donezk - eine der beiden Städte, die zu "Neurussland" erklärt worden sind. Also zu einer Region, die sich außerhalb aller Prinzipien des Völkerrechts begeben hat.
Der Flughafen von Donezk jedenfalls, um den seit Monaten so heftig gekämpft wird, ist inzwischen nur mehr eine Ruine. Und trotzdem sterben Menschen auf diesem zerstörten Gelände. Es geht schon längst nicht mehr um territorialen Gewinn oder Ähnliches. Es geht um irgendwelche "Prinzipien". Auf der Seite der "Separatisten" argumentiert man mit hohlen Schlagworten wie Vaterland, Ehre und Ruhm, auf der ukrainischen Seite fast ebenso. Und klar ist - keine der beiden Seiten kann nachgeben.
Die Machthaber in "Neurussland" nicht, weil das entweder ihren Tod oder lange Gefängnisaufenthalte bedeuten würde - denn ihr bisheriger Geldgeber Wladimir Putin wird sie wohl sofort fallen lassen, sobald sie ihm nicht mehr als Stachel im Fleisch der Ukraine nützlich sind. Bei allem Vertrauen in Putin, das sie immer wieder demonstrieren, sind diese "Herrscher" von Donezk oder Lugansk wohl nicht so naiv zu glauben, dass der Kremlchef sie auch über einen eventuellen Rückzug hinaus unterstützen wird. Auf ukrainischer Seite geht es darum zu beweisen, dass man tatsächlich das ganze Land unter Kontrolle hat. Kein ukrainischer Politiker kann es sich heute leisten, sich für eine Abspaltung der umkämpften Region im Osten des Landes starkzumachen.
Dabei ist klar, dass die Ukraine nicht die militärische Kraft hat, um die Region wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Russland dagegen hat die Mittel und den Willen, auch militärisch dafür zu sorgen, dass "Neurussland" erhalten bleibt. Als Hebel, mit dessen Hilfe man von Moskau aus Druck auf den Nachbarn ausüben kann, wann immer man es für nötig hält. Die Menschen, die unter dieser Situation entsetzlich zu leiden haben, spielen dabei offensichtlich weder da noch dort eine große Rolle.