SN.AT / Kolumne / Scholls Welt / Scholls Welt

Wie Russland auf den Terror in Paris reagiert

Mit Heuchelei - wie so viele andere auch. Und mit Verhaftungen - wie es in Russland in jüngster Zeit so üblich ist.

Man hat immerhin Außenminister Sergej Lawrow nach Paris geschickt zur großen Gedenkdemonstration für die Terroropfer. Aber in der Zwischenzeit geschah in Moskau so manches. Menschen, die Plakate mit dem Satz "Je suis Charlie" in die Höhe hielten, wurden verhaftet. Der Radiosender Echo Moskwy (Moskauer Echo) und sein Chefredakteur Alexei Venediktov wurden direkt und namentlich vom tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow bedroht. Auch deswegen, weil sie sich in T-Shirts mit der Aufschrift "Je suis Charlie" hatten fotografieren lassen. Kadyrow erklärte Michail Chodorkowski zu seinem persönlichen Feind. Chodorkowski ist Jude. Kein Wunder also, dass es in Moskau ziemlich still blieb angesichts der ungeheuerlichen Vorgänge in Paris.

Wenn der Terror die westlichen Hauptstädte erreicht, ist der Kreml nie besonders betroffen. Im Gegenteil. Als im September 2001 die New Yorker Türme zerstört wurden, wandte sich Präsident Wladimir Putin mit der irreführenden Feststellung an die internationale Öffentlichkeit, er, Putin, und Russland insgesamt kämpften ja bekanntlich seit Jahren "gegen den internationalen Terrorismus". Dass dieser Kampf darin bestand, die eigene - tschetschenische - Bevölkerung zu bombardieren und in diesem Teil der Russischen Föderation ein autoritäres Regime einzusetzen, verschwieg er damals diskret. Und er verschweigt es immer noch.

Der Mord an den Journalisten in Frankreich stört die russische Führung heute ebensowenig wie der Mord an jüdischen Menschen in einem Supermarkt oder wie die Morde an Hunderten unschuldigen Menschen in Beslan und anderen russischen Orten. Im Gegenteil. Die heutige russische Führung hat derlei Ereignisse stets zum Vorwand genommen, die Demokratie weiter einzuschränken und demokratische Regeln außer Kraft zu setzen. Wenn das Gleiche jetzt auch in Europa geschehen sollte, haben die Terrormörder ihr Ziel erreicht: Sie haben die Demokratie ermordet. Wenn man hört, wie Ungarns Premier Viktor Orban in Paris offen gegen alle Migranten wettert - weitgehend unwidersprochen durch die Vertreter der demokratischen Institutionen Frankreichs, der EU und vieler europäischer Staaten -, dann scheint die Sorge berechtigt zu sein. Es gibt Mächtige in Europa, die wohl genau das erreichen wollen: dass der Hass größer, die Toleranz aber geringer wird; und dass die Freiheit in die Ecke gedrängt wird.

Tatsächlich sind nicht nur wir alle Charlie, sondern die Tausenden ermordeten Menschen in Nigeria und Syrien, im Irak und in Mali. In Moskau aber zieht man nur den Schluss, dass man ungestraft weiterhin Menschen verfolgen darf, die nicht ganz ins Schema passen.