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Was es heißt, ein Flüchtling zu sein

Als meine Großeltern vor den Nazis flohen, erfuhren sie Ähnliches wie die syrischen Flüchtlinge heute.

Meine Großeltern flohen im Dezember 1939 vor den Nazis nach Belgien. Man hat sie dort keineswegs mit offenen Armen aufgenommen. Sie fristeten ihr Leben in einer kleinen, kalten Pension, das Essen war meistens ungenießbar und sie mussten sich ständig bei der Polizei melden, die ihnen regelmäßig damit drohte, sie "nach Deutschland" zurück zu schicken. Österreich gab es ja nicht mehr. Als die Nazis dann auch Belgien überrannten, starb mein Großvater durch eine deutsche Bombe. Meine Großmutter wurde nach Auschwitz deportiert und starb im Gas.

Wenn Sie mir jetzt sagen: "Ja, damals, das waren schreckliche Zeiten" - muss ich Ihnen antworten, dass sich die Belgier meinen Großeltern damals gegenüber so verhalten haben, wie wir Österreicher uns jetzt gegenüber Flüchtlingen aus Syrien. Damals wollte man jüdische Flüchtlinge nicht haben, heute wollen wir Kriegsflüchtlinge aus Syrien nicht haben.

Und keiner fragt danach, ob diese Menschen freiwillig kommen und was wir ihnen antun, wenn wir sie mit Misstrauen betrachten und ihnen ständig damit drohen, sie irgendwohin zurück zu schicken, wo sie in Gefahr wären.

Die österreichische Innenministerin ist das beste Beispiel dafür, dass Österreich sich weigert, aus seiner Geschichte zu lernen. So wie ganz Europa übrigens. Flüchtlingen keinen Schutz zu gewähren heißt, eine Schuld auf uns zu laden, an der noch unsere Kinder und Kindeskinder zu tragen haben werden.

Wir wollen die Leute ja nur in andere europäische Länder abschieben, mögen viele entgegnen. Ja - aber in welche anderen europäischen Länder? Nach Ungarn, wo man sie einsperrt wie Verbrecher? Nach Polen, wo die Agenten des tschetschenischen Präsidenten in den Lagern freie Hand haben? Nach Italien, wo rechte Gruppen laut gegen Flüchtlinge hetzen und es kaum Überlebenschancen für sie gibt? Nach Bulgarien oder Rumänien, Länder, die viel zu arm sind, um sich ernsthaft der Flüchtlinge anzunehmen? Wo, so frage ich mich, bleibt die so oft beschworene europäische Solidarität? In der Flüchtlingsfrage gibt es sie offensichtlich nicht. Wir, die Reichen unter den Europäern, tun alles, um Menschen in Not dorthin abzuschieben, wo tatsächlich große Armut herrscht. Ganz so, als sollten nur Arme mit anderen Armen solidarisch sein. Ganz so, als müssten wir Reichen uns vor den Armen schützen. Auf diese Art tragen wir im Übrigen auch dazu bei, die Kriege, die die großen Fluchtbewegungen auslösen, immer weiter laufen zu lassen. Wir nehmen den Menschen in diesen Ländern jede Hoffnung. Ohne daran zu denken, dass auch wir nicht gefeit sind vor solchen Entwicklungen. Auch wenn wir das gern glauben wollen.