Boris Nemzow war der wohl bekannteste, weil auch am längsten aktive Oppositionspolitiker des neuen Russland. Als knapp 35-Jähriger war er seinerzeit unter Präsident Boris Jelzin Bürgermeister der großen Industriestadt Nischni- Nowgorod geworden - und hatte aus dem einstigen Gorki mit seinen überdimensionalen Autofabriken eine blühende Stadt gemacht.
Er war einer, der Putin fast von Anfang an misstraut hat. Er hat immer wieder auf eklatante Korruptionsfälle hingewiesen - zum Beispiel bei der Planung und den Bauarbeiten für die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Wobei er sich nicht auf vage Anschuldigungen beschränkte, sondern konkrete Zahlen vorlegte. Er hat sich gegen den Krieg im Kaukasus gewandt und ebenso gegen die Aggression gegen die Ukraine. Und er hat jede jener Massendemonstrationen angeführt, die es in den vergangenen Jahren immer wieder in Moskau und anderen Städten gegeben hat. Er war sich - obwohl er einst unter Jelzin sogar zum stellvertretenden Ministerpräsidenten avanciert war - nicht zu schade, in der russischen Provinz zu arbeiten. Zuletzt im Regionalparlament von Jaroslawl am Goldenen Ring um Moskau.
Er war immer eine laute und kritische Stimme gegen Russlands politische Elite. Er ist Dutzende Male festgenommen und immer wieder zu kurzen Haftstrafen verurteilt worden. Er hat trotzdem weitergemacht. So einer macht den derzeit Mächtigen hinter ihren dicken Kreml-Mauern Angst. Angst, dass da einer ist, der sagt, dass der König nackt ist. Angst, dass einer den Krieg in der Ukraine als das bezeichnet, was er ist: eine Aggression gegen Nachbarn.
Aber offenbar genügt es nicht, den politischen Gegner in bester Stalin'scher Manier zu ermorden. Man muss ihn im Nachhinein auch noch menschlich umbringen. Zum Beispiel, indem man behauptet, eine Spur der Mörder führe in die Ukraine - also dorthin, wo Nemzows Sympathien eindeutig lagen. Zum Beispiel, indem man munkelt, Nemzow habe sterben müssen, um seinen politischen Gegner Putin zu diskreditieren. Ganz so, als hätte der Ermordete seinen Tod selbst bestellt. Nemzow musste aber offenbar sterben, weil er dem Wahnsinn, der derzeit von der russischen Gesellschaft Besitz zu ergreifen scheint, etwas entgegensetzen wollte. Weil er den Hurrapatriotismus der vom Kreml kontrollierten Medien zu brechen versuchte.
Nicht, weil er Russland nicht liebte, sondern eben weil er Russland liebte. Er werde das Land nicht verlassen, hat er immer wieder gesagt, denn Russland sei seine Heimat, die er liebe. So wie alle, die Russland und seine Menschen lieben, nicht aber seine politische Elite. Ja, Nemzows Ermordung war eine Provokation. Aber die richtet sich nicht gegen Putin und seine Leute, sondern gegen alle, die nicht zulassen wollen, dass Russland von seiner politischen Elite in den Abgrund geführt wird.