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Wenn der Schmerz nur endlich aufhört...

Griechenland als Nagelprobe für die europäische Friedens-, Werte- und Wohlstandsidee.

Gerhard Schwischei


Immer, wenn man glaubt, jetzt geht es endlich aufwärts, kommt der nächste Schlag in die Magengrube. Das Auf und Ab in der Schuldenkrise zehrt nicht nur an den Nerven der verantwortlichen Politiker. Es stellt ganz Europa auf die Geduldsprobe. Doch Geduld gehört heute nicht zu unseren großen Tugenden.

Der neue Präsident des EU-Parlaments hat dazu jüngst im SN-Gespräch gesagt, immer wenn er über Griechenland nachdenke, falle ihm ein Film über Folter ein, mit einem zentralen Satz: "Am Ende ist es egal, wo der Schmerz herkommt. Er soll nur aufhören."

Das beschreibt wohl sehr gut die Gefühlslage vieler Menschen nach zwei Jahren, in denen ein Eurokrisengipfel den nächsten jagte und zwei Schritten vorwärts sofort wieder mindestens ein Schritt zurück folgte. So ist es auch jetzt wieder. Eigentlich wollen die Regierungschefs heute, Montag, auf einem Gipfel in Brüssel besiegeln, dass sie mit dem neuen Fiskalpakt ihre Haushaltspolitik strengeren Regeln als bisher unterwerfen. Und sie wollen auch darüber diskutieren, wie man verfügbare Gelder besser einsetzt, um Wachstum zu fördern und Arbeitslosigkeit abzubauen.

Doch seit einigen Tagen überlagern wieder Negativschlagzeilen über Griechenland diese Themen. Die Hellenen bringen einfach Strukturreformen und Privatisierung nicht, wie geplant, voran. Sparpläne werden nicht umgesetzt. Die Rezession frisst sich immer stärker fest. Das Land braucht immer mehr Geld, ohne dass jemand verlässlich sagen kann, wann das endlich aufhört.

Kein Wunder also, wenn bei vielen der Geduldsfaden reißt. Wenn der Ruf nach einem Austritt aus dem Euro immer lauter wird. Wenn sich manche wünschen, dass ein EU-Kommissar die finanzpolitischen Geschäfte in Athen übernimmt.

Doch wie schlimm steht es wirklich um die Griechen? Ist da jetzt nicht auch wieder viel Theaterdonner dabei, um Druck aufzubauen? Muss man nicht aufpassen, das Land zu überfordern? Wenn man Anschauungsunterricht benötigt, wie schwierig tief greifenden Strukturreformen umzusetzen sind, genügt der Blick vor die eigene Haustür in Österreich.

Also sollte man die Kirche im Dorf lassen. Nicht nur die Griechen machen schwere Fehler im Management der Schuldenkrise, die immer wieder korrigiert werden müssen. Verlieren die Europäer jetzt die Nerven, verlieren sie auch einen solidarischen Raum, von dem alle profitieren.Krise europäischer WerteDer griechische Dichter Petros Markaris war in Brüssel unterwegs, um festzustellen, dass den Europäern zunehmend das Verständnis füreinander fehlt. Die Griechen fühlten sich von Mittel- und Nordeuropäern gedemütigt. Die Deutschen litten an "griechischer Erschöpfung". Und sogar die südlichen Nachbarn in Italien oder Spanien wollten nicht mit den Hellenen gleichgesetzt werden. Für Markaris existiert die Solidarität zwar auf finanzieller Ebene. "Wir erleben aber auch eine Krise der europäischen Werte", betont er in einem Aufsatz für führende Zeitungen in Italien, Frankreich, England und Deutschland. "Wir werfen die gemeinsamen Werte, die Diversität der europäischen Geschichte, die verschiedenen Kulturen und Traditionen als Ballast über Bord."

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel musste sich jetzt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos prügeln lassen: Es fehle ihr an Solidarität, weil sie die Rettungsschirme nicht weiter aufblase, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Vielleicht ist es aber gerade die ehemalige Ostdeutsche, die es aufgrund ihrer Biografie und ihrer Hartnäckigkeit schafft, die europäische Friedens-, Werte- und Wohlstandsidee am Leben zu erhalten, indem sie Beruhigungspillen ablehnt und auf grundlegende Reformen drängt. Auch wenn das, wie sie immer wieder betont, nicht von heute auf morgen geht, Geduld und Konsequenz verlangt: "Wir haben uns zu oft vor harten Entscheidungen weggeduckt."