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Das Etikett und die Sehnsüchte

Josef Bruckmoser


Atheisten in London versammeln sich neuerdings zu ihrer "Sonntagsmesse". Anfang des Jahres hat es eine einzige "Sunday Assembly" gegeben. Aber die Erfahrungen der ersten Teilnehmer haben sich via Internet so schnell verbreitet, dass es bald mehr als zwei Dutzend sein werden.

Diese sonntäglichen Begegnungen von Atheisten haben mit der "Sonntagsmesse" so wenig zu tun wie der "Kopimismus" schwedischer Internetfreaks. Nicht überall, wo in jüngster Zeit Religion draufgeschrieben wird, ist auch Religion drinnen. Es stiftet mehr Verwirrung, als es an Erkenntnisgewinn bringt, wenn alle möglichen - oder besser unmöglichen - Phänomene als Religion benannt werden, nur weil Menschen daran "glauben".

Trotzdem wäre es gerade aus der Sicht der etablierten Religionsgemeinschaften und Kirchen verfehlt, diese Erscheinungen am Rande der religiösen Szene mit einem Achselzucken abzutun. Denn tatsächlich kommen zwei Wesenselemente von Religion darin zum Ausdruck: an etwas glauben können und Gemeinschaft finden.

Eine "Religion" wie der "Kopimismus" oder eine Sonntagsversammlung für Atheisten kann sich nur dort entwickeln, wo ein entsprechendes Vakuum entstanden ist. Wenn die christlichen Kirchen oder andere große Religionen das Bedürfnis nach einer "Glaubenswahrheit" und nach einem wöchentlichen Treffen in einer "Gemeinde" nicht mehr erfüllen, springen andere in die Bresche.

Offenbar gibt es Sehnsüchte und Grundbedürfnisse des Menschen, die bevorzugt durch Religion befriedigt werden. Und sei es, dass nur das Etikett Religion draufsteht.