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Die "Inkulturation" in die umgekehrte Richtung

Josef Bruckmoser

Im Jahr 1965 ist der gebürtige Vorarlberger Erwin Kräutler als "Missionar" nach Brasilien ausgewandert. Morgen, Mittwoch, kommt er nach 49 Jahren als Bischof "vom anderen Ende der Welt" in die Aula der Universität Salzburg zurück. Das zeigt nicht nur den gewaltigen historischen Bogen, den sein halbes Jahrhundert "als Brasilianer, in Österreich geboren", umspannt. Es zeigt auch, wie sich die Schwerpunkte in der römisch-katholischen Weltkirche verschoben haben - und unter Papst Franziskus noch mehr verschieben werden.

Wenn Erwin Kräutler in Salzburg seine Vision von der Kirche vorstellen wird, dann ist es eine Kirche, die sich langsam, aber sicher vom Eurozentrismus abnabelt. Der erste Papst aus Lateinamerika hat das allein schon dadurch demonstriert, dass er Kardinäle aus aller Welt als seine ganz persönliche Taskforce berufen hat und keinen vatikanischen Klüngel.

Vor 50 Jahren ist die römisch-katholische Kirche in Amazonien - wie in ganz Lateinamerika - ein Fremdkörper gewesen. Erwin Kräutler erzählt das in einer Episode seines neuen Buchs: "Als ich ein junger Bischof war, hat mir ein Nachbarbischof - er ist längst emeritiert - gesagt, Erwin, ich weiß, das ist nicht unbedingt in deinem Sinn, aber du musst die Mitra aufsetzen. Das Volk will das. Da habe ich dann tatsächlich bei einer Firmung in einer kleinen Gemeinde im Busch die Mitra aufgesetzt. Das war - außer bei meiner Weihe - das erste und das letzte Mal. Die Leute haben mich unverwandt und verwundert angeschaut. Seit Jahren kannten sie mich als Pater Erwin, und jetzt wirkt er plötzlich ganz anders. Ich habe mir damals gedacht, nein, das tue ich nie mehr."

Heute ist die katholische Kirche in Lateinamerika weitgehend heimisch geworden - "inkulturiert" -, dagegen ist sie in der Kultur der westlichen Industriestaaten zu einem Relikt der Tradition geworden. Religionslehrerinnen und Religionslehrer müssen buchstäblich bei Adam und Eva anfangen, wenn sie Volksschulkindern etwas über das Christentum erzählen wollen. Sogar die Verfasser des neuen Kirchengesangsbuchs "Gotteslob" waren sich dieser neuen Herausforderung bewusst. Sie haben zum Beispiel nicht einfach nur die Texte des Rosenkranzes abgedruckt, sondern sie geben eine detaillierte Gebrauchsanweisung für die Perlen eines Rosenkranzes.

"Inkulturation" - die Verbindung des alltäglichen Lebens mit der Bibel - war die große Aufgabe der lateinamerikanischen Kirche in den vergangenen 50 Jahren. Genau diese - neuerliche - Inkulturation des Christentums ist jetzt die Aufgabe der Kirche in Europa.