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In der kleinen Welt ist die Sorge verständlich

Josef Bruckmoser

Im Moment stoßen zwei sehr gegensätzliche Sichtweisen der Ereignisse aufeinander. Die eine ist die unserer kleinen Welt. In diesem Mikro-Kosmos gilt, dass viele in Österreich, Deutschland oder anderen europäischen Wohlstandsgesellschaften hart für diesen Wohlstand gearbeitet haben. Naturgemäß stoßen daher alle, die uns den Spiegel vorhalten - wie die Bettler - oder die diesen Wohlstand zu gefährden scheinen - wie die Flüchtlinge -, auf Ablehnung.

Neben dieser kleinen Welt gibt es eine andere, die große, die globalisierte. In diesem Makro-Kosmos sind Europa und die USA die Sehnsuchtsorte auf der nördlichen Halbkugel der Erde, die ihren Wohlstand zum Teil auf Kosten der südlichen Halbkugel erworben haben. Das hat mit der Unterwerfung Lateinamerikas durch die Konquistadoren und mit dem Kolonialismus begonnen und reicht aktuell bis zur Ausbeutung der Rohstoffe in Afrika und den Billiglöhnen in Asien.

Es führt nicht weiter, beides mit der moralischen Keule gegeneinander auszuspielen. Hilfreicher ist es, sich einen möglichst sachgerechten Blick auf beide Welten anzueignen: Auf unsere kleine Welt, in deren Rahmen unsere vergleichsweise kleinen Sorgen verständlich sind. Und auf die große Welt, die im Moment so explosiv ist, dass manche schon von einer Art drittem Weltkrieg sprechen. Wir hätten ihn nur nicht bemerkt, bis die Flüchtlinge an unsere Türen geklopft hätten.

Noch hat niemand die Patentlösung gefunden, wie Europa die kleine und die große Welt neu austarieren kann. Noch prallen die Gegensätze heftig aufeinander, auch die zwischen den EU-Staaten. Aber das wenigstens ist nicht neu. Das haben wir in der Finanzkrise ähnlich erlebt. Die Hoffnung stirbt also zuletzt: Europa hat viel Erfahrung darin, dass es der Bewältigung von Krisen immer einen Schritt nachhinkt.