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Mehr Vertrauensvorschuss als verdient

Jeder fünfte Katholik in Deutschland überlegt, aus der Kirche auszutreten. Das heißt, dass die große Mehrheit - trotz allem, muss man sagen - bleiben will.

Josef Bruckmoser

Selbstverständlich sind die jüngsten Daten aus Deutschland für die römisch-katholische Kirche alles andere als beruhigend. Wenn jeder Fünfte nahe am Abspringen ist, dann müssen alle Kirchenglocken Alarm läuten.

Was aber viel mehr erstaunt, ist, dass die Tendenz zum Austreten auch bei den jüngeren Menschen nicht wesentlich größer ist. Sie halten das, was die katholische Kirche von sich gibt, nicht mehr für hilfreich in ihrem Alltag. Aber sie wollen die Tür nicht ganz zuschlagen. Zum einen aus persönlichen Gründen, und sei es eine schöne Taufe oder Trauung. Zum anderen aus gesellschaftlichen Gründen, weil sie die Kirche als eine der wenigen Kräfte erleben, die sich nie mit dem Turbokapitalismus angefreundet haben. Mit Ausnahme der Vatikanbank IOR, dem "Institut für die religiösen Werke", ist die katholische Kirche da vorbildlich aufgestellt: von päpstlichen Sozialenzykliken über die allgegenwärtige Caritas bis zu Expertinnen und Experten, die zum Beispiel zu den Stützen der Armutskonferenz gehören.

Umso ärgerlicher ist es, dass dieser enorme Vertrauensvorschuss leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Die immer wieder aufflammende Debatte über eine unzureichende Aufklärung von Missbrauchsfällen ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Die Zerrüttung des Verhältnisses zwischen der katholischen Kirche und vielen jungen Menschen geht viel tiefer. Es ist das unbestimmte Gefühl, dass die Kirche die heutige Lebenswelt nicht kennt und nicht zur Kenntnis nehmen will.

Als Kirche "bei den Menschen sein", wie es der frühere Grazer Bischof Johann Weber genannt hat, heißt nicht alles absegnen. Es heißt aber, die Menschen als Suchende ernst nehmen und nicht als Fernstehende abqualifizieren.