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Angst zerfrisst die Seelen der Europäer

Es sind nicht konkrete Befürchtungen, die uns im Zusammenhang mit den Asylbewerbern plagen, sondern diffuse Ängste.

Viktor Hermann

Die Geschichten werden rundum erzählt. Sie handeln von Aggressivität, Undankbarkeit und sexuellen Übergriffen. Und die Geschichten lauten meist so: Ein Bekannter hat von einem Bekannten gehört, dass diesem ein Bekannter erzählt habe, was Flüchtlinge angeblich angestellt haben sollen. Politiker verbreiten solches dann auch noch auf Facebook und manche Zeitung schreibt dann die Fortsetzung dazu.

Wenn Zehntausende Menschen nach Österreich hereindrängen und durch das Land ins Nachbarland weiterziehen; wenn der Eindruck entsteht, dass diese Massenwanderung nicht oder kaum kontrolliert wird; wenn Menschen das Gefühl haben, die staatliche Ordnung werde nicht im gewohnten Maß aufrechterhalten - dann wächst ein Gefühl von Unsicherheit, das in Angst mündet.

Zu Beginn reagierten die meisten Österreicherinnen und Österreicher auf die Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten, aus Afrika und aus Zentralasien großherzig und großzügig. Sie brachen alle Rekorde an Hilfsbereitschaft, sie spendeten Geld, Kleidung, Decken und auch viel Zeit als freiwillige Helfer. Je länger diese Fluchtbewegung dauert, desto mehr drängen sich Zweifel ins großzügige Herz.

Die Österreicher schauen zu, wie sich Fluchtrouten verändern, wie Nachbarstaaten ihre Grenzen sperren, wie das Traumziel der meisten Flüchtlinge - Deutschland - innerlich zerstritten ist. Da beginnen nicht nur Zweifel zu wachsen, sondern auch Ängste, vorerst unbestimmte und schwer artikulierbare Ängste. Das Gefühl, die eigenen Behörden seien nicht mehr in der Lage, den Flüchtlingsstrom zu kontrollieren, zu kanalisieren, trägt zu diesen Ängsten bei.

Dann tauchen auch all jene Gefühle an die Oberfläche, die viele bisher erfolgreich unterdrückt haben: die Gewissheit, dass da Zigtausende Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis zu uns kommen; die Befürchtungen, dass die Integration dieser "Fremden" vielleicht nicht ganz so einfach und reibungslos vonstattengehen wird, wie man sich das wünschen möchte; die Annahme, dass die Integration der Zuwanderer aus einer fremden Kultur nicht nur Geduld kosten wird, sondern auch Geld.

All das trägt dazu bei, bei den Menschen Unbehagen zu wecken, das bei manchen dann in Furcht vor allem Fremden mündet. Dabei wäre es recht einfach, Furcht und Angst zu vermeiden. Der Staat müsste es schaffen, uns wieder das Gefühl zu geben, dass er auch in dieser schwierigen Lage weiß, was er tut, wie er die Probleme anpacken muss, um den Strom der Flüchtlinge, die durchreisen wollen, und den Ansturm jener, die hierbleiben wollen, zu bewältigen.

Es muss den Behörden gelingen, das Zutrauen der Österreicher in die staatlichen Strukturen wiederherzustellen. Dann schwindet die Angst wieder ganz von selbst.