Politik erfüllt eine wesentliche Funktion: Ausgleich zwischen verschiedenen und manchmal auch gegensätzlichen Interessen zu schaffen. Sie muss Rahmenbedingungen herstellen, die es jedem Mitglied der Gesellschaft und jeder gesellschaftlichen Gruppe ermöglichen, nach der jeweils eigenen Fasson glücklich zu werden. Das steht zwar so nur in der Verfassung der USA wörtlich drinnen, ist aber das Fundament des Zusammenlebens in jeder liberal orientierten fortschrittlichen und zivilisierten Gesellschaft.
Deshalb ist der Disput zwischen den widerstreitenden Interessen unerhört wichtig und richtig. So erleben wir gerade beim Ringen um die Zulassung beziehungsweise Nichtzulassung der Erweiterung bestehender und der Errichtung neuer Einkaufszentren in Salzburg eine solche Auseinandersetzung mit heftigen Diskussionen. In einer dieser Debatten fiel freilich ein Satz, der das Potenzial hat, sämtliche Alarmglocken zum Klingeln zu bringen. In einem Interview in den SN fiel die Forderung, die Salzburger mögen doch lernen, "Wirtschaft ohne Wachstum" zu denken.
Die Forderung erinnert ein wenig an die Sturm-und-Drang-Zeit der späten 60er- und frühen 70er-Jahre. Damals galt uns (damals) Jungen die "Anbetung des Wachstums" durch das Establishment als das größte Hindernis auf dem Weg zu einer von sozialer und wirtschaftlicher Gleichheit geprägten Gesellschaft. Wir wissen heute, wie falsch die damalige Wachstumsfeindlichkeit war, weil die damaligen Kritiker die Potenziale des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts ignorierten.
Auch heute registrieren wir eine breite Strömung von selbst ernannten Philosophen und Denkern, aber auch Politikern, die wirtschaftliches Wachstum als Übel betrachten und das Heil unserer Welt in einer neuen Bescheidenheit suchen wollen.
Darin steckt ein durchaus positiver Kern. Der Zwang, alles müsse ständig wachsen, hat in den vergangenen Jahrzehnten oft zu rücksichtsloser Ausbeutung von Ressourcen geführt. Es bedurfte gewaltiger Anstrengungen, ehe die Politik zumindest in Europa Regelwerke fand, die eine Balance zwischen ökonomischem Fortschritt und ökologischer Behutsamkeit schufen.
Derzeit erleben wir aber eine Strömung der verordneten Bescheidenheit, die wesentliche Bedingungen menschlicher Bedürfnisse zu ignorieren scheint im Dienst eines rosaroten Traumbildes einer Gesellschaft, die nicht ständig nach immer mehr strebt, sondern sich auf das beschränkt, was sie bereits erreicht hat.
Es sind in erster Linie die Satten, die Zufriedenen, die die neue Bescheidenheit und das Ideal der Gesellschaft ohne Wachstum predigen. Wer bereits bequem im Einfamilienhaus sitzt, die Zukunft seiner Kinder ökonomisch abgesichert hat, sich alles leisten kann, was sein Herz begehrt, der hat - logisch - wenig Bedarf an Wachstum. Dem fällt es leicht, sich und dem Rest der Gesellschaft Verzicht zu verordnen. Aus der Position des Profiteurs vergangenen Wachstums ist leicht bescheiden sein.
Doch wie will so jemand einem Menschen, der in bescheidenen Verhältnissen lebt und sein persönliches wirtschaftliches Wachstum zur Sicherung seiner und seiner Kinder Zukunft braucht, Vorschriften machen und Verzicht aufdrängen? Dazu bedarf es einer beträchtlichen Portion Ignoranz - um nicht zu sehen, dass andere Leute andere Bedürfnisse haben - und Arroganz - um ebendiese Bedürfnisse als irrelevant zu definieren.
Um diese Haltung durchzusetzen, brauchte es nun Maßnahmen, die an den längst überwunden geglaubten Totalitarismus von Ideologien erinnern, die im vergangenen Jahrhundert großes Unglück über die Welt gebracht haben. Wenn Politiker ihre Rolle als Vermittler und Mediatoren zwischen widerstreitenden Interessen vergessen und sich als Heilsbringer verstehen, die mit der Durchsetzung ihrer eigenen Ideologie der neuen Bescheidenheit der Menschheit Glück und Zufriedenheit verordnen, dann laufen sie Gefahr, uns stracks in eine Gesellschaft des Zwangs zu führen.
Es wäre eine lohnende Aufgabe für Politiker mit solchen Tendenzen, sich wieder auf die Grundsätze ihrer Aufgabe zu besinnen: die Gesellschaft zu leiten und zu führen, statt ihr durch ein Diktat Verhaltensweisen zu verordnen, die einer Modeerscheinung namens "neue Bescheidenheit" entsprechen.