SN.AT / Kolumne / Zorn und Zweifel

Endlich einmal haben wir eine echte Alternative

Von einem Wort, das in der politischen Realität fast schon abgeschafft war und das von weit links nach ganz weit rechts gerutscht ist.

Viktor Hermann

Völlig zu Recht klagten viele politisch interessierte Menschen, dass wir in einer Zeit lebten, die rundum alternativlos zu sein scheint. Denn was auch immer die österreichischen Wählerinnen und Wähler auf ihre Stimmzettel schrieben, sie bekamen seit einer gefühlten Ewigkeit immer dieselbe Regierung: Rot-Schwarz. Wir mussten uns daran gewöhnen, dass zwischen die beiden Koalitionsparteien in ihrer gegenseitigen Umklammerung kein Blatt Papier passte, wiewohl sich die beiden in ihrer Zwangsehe aufführten wie Hund und Katz'.

Mit der Präsidentschaftswahl hat sich das schlagartig geändert. Erstmals haben wir wirklich eine Alternative - im Sinne der Möglichkeit, zwischen zwei sehr verschiedenen Optionen zu wählen. Wir Wähler entscheiden zwischen einem rechtsnationalen Burschenschafter und einem linksgrünen Professor - und es besteht nicht die geringste Chance, dass wir nicht den Bundespräsidenten bekommen, den die Mehrheit am 22. Mai wählt. Einen Drittplatzierten, der sich dann in die Hofburg schwindelt, kann es in diesem Fall nicht geben.

Das Wort "alternativ" hat ja in den vergangenen Jahrzehnten einen dramatischen Bedeutungswandel mitgemacht. Von seiner zentralen, ja neutralen Position zwischen zwei Möglichkeiten ist es zunächst nach links, ja sogar nach ganz weit links gerutscht. "Alternativ" stand lange Zeit für einen Lebensentwurf, der sich als Gegenbild zum Althergebrachten verstand: weg von den alten Autoritäten Kirche, Wirtschaftsbosse und Politiker hin zu umweltfreundlicher, menschlicher und sozialer Gerechtigkeit. Die Wurzeln dieser politischen Haltung kommen aus der Generation der 68er, weshalb Konservative und Rechte den Anhängern dieser Lebenseinstellung den Beinamen "Linksalternative" umhängten.

Je mehr die Grünen in die gesellschaftliche Mitte rückten, desto mehr verschwand der Begriff "alternativ" aus dem politischen Sprachgebrauch. Bis er dann als sein eigenes Gegenteil wieder auftauchte, weil Politiker plötzlich alles, was sie taten, für "alternativlos" hielten. Das Wort schmeckt leicht undemokratisch, weil es sozusagen unterstellt, wozu es keine Alternative gebe, darüber brauche man ja nicht einmal mehr zu diskutieren. Zum Glück machten sich so viele Satiriker über die "Alternativlosigkeit" lustig, dass das Wort bald wieder in der Versenkung verschwand.

Erschreckend freilich, wie die "Alternative" in unseren Tagen plötzlich ideologisch die Seiten wechselt und am rechten Rand des politischen Spektrums wieder auftaucht als "Alternative für Deutschland", die sich ihrerseits wiederum für ziemlich alternativlos hält, weil sie jeden, der nicht ihrer Meinung ist, als Volksfeind denunziert. Solche Töne hört man ja auch hierzulande häufig. Womit wir wieder bei der Alternative am 22. Mai sind: Wir haben die Alternative, rechts oder links zu wählen.