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Ist es möglich, dass die EU endlich erwachsen wird?

Gleich zwei Ereignisse geben Hoffnung. Die EU ist nicht mehr erpressbar. Und sie verzichtet auf unsinnige Kinkerlitzchen.

Viktor Hermann

Der jüngste Gipfel der Europäischen Union hat mehrfach verblüfft. Es gibt einige Hinweise, dass sich in diesen Tagen Grundlegendes geändert hat. Einerseits der Ablauf des Treffens, andererseits der Umgang der Staaten miteinander. Das eine ist zwar nur eine Kleinigkeit, aber eine, die schon lange unter die Rubrik sinnloser Firlefanz gehörte. Es war bei jedem Gipfeltreffen dasselbe: Irgendwann mussten sich die Damen und Herren Regierungschefs positionieren, sodass die versammelte Meute der Fotografen ein sogenanntes Familienfoto schießen konnte. Die ursprüngliche Idee, so viele wichtige Menschen auf ein Bild zu bekommen, hat sich bei der großen Anzahl von Gipfeltreffen selbst ad absurdum geführt. Zuletzt erinnerte die Manie mit dem Familienfoto an die narzisstische Sucht Halbwüchsiger, sich durch immer neue Selfies auf dem Facebook-Account permanent selbst darzustellen.

Dass man jetzt auf diesen Unsinn verzichten will, ist schon deshalb vernünftig, weil ja angesichts der Konflikte innerhalb der EU eher der Eindruck entsteht, man habe es nicht mit einer harmonischen, sondern einer dysfunktionalen Familie zu tun. Ganz abgesehen von der vielen Zeit, die durch die Aufstellung zum Foto verschwendet wurde. Diese Minuten sollte man besser nutzen, um Probleme zu lösen, statt in die Kamera zu grinsen.

Das zweite Ereignis wiegt aber weit schwerer. Kaum jemand außerhalb Polens hat verstanden, weshalb ausgerechnet die polnische Regierung den bisherigen Ratspräsidenten, den Polen Donald Tusk, abschießen wollte. Die anderen EU-Mitglieder vermuteten sichtlich eine innenpolitische Intrige hinter der Weigerung Warschaus, Tusks Mandat zu verlängern. Da aber innenpolitische Winkelzüge der Mitgliedsstaaten nur selten zum Wohl der gesamten Europäischen Union sind, haben die anderen 27 Länder sehr zum Ärgernis Polens für eine zweite Amtszeit Tusks gestimmt.

Weshalb das ein Fortschritt ist? Ganz einfach: Es zeigt, dass der Rat nicht erpressbar ist. Die Drohungen der Polen haben nichts genutzt, die Mehrheit hat eine Entscheidung getroffen - und diese Entscheidung ist zu respektieren. Selbst wenn Polen sich demnächst rächen wird, indem es irgendeine wichtige Reform partout blockiert, um die anderen EU-Staaten zu "bestrafen", dann wird 27 Ländern bewusst sein, hier verhält sich die Führung eines Staates wie ein trotziges Kind, dem man das Lieblingsspielzeug weggenommen hat.

Es ist wichtig, dass die EU solche Mehrheitsentscheidungen trifft. Und es ist wichtig, dass jedes einzelne Land lernt, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, auch wenn diese Entscheidungen nicht den eigenen Wünschen entsprechen. Eine Union kann nicht funktionieren, wenn immer nur jeder ausschließlich die eigenen Interessen im Auge hat und nicht die Interessen der Gemeinschaft.