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FAQ Bregenzerwald vier: Ein Rapper als Dampflok des Kapitalismus

Bernhard Flieher erkundet ein paar Tage lang das Festival FAQ Bregenzerwald. Alles spielt in Dörfern und mit Tradition, und blickt doch weit in die Welt hinaus. In einer Bahnremise geriet er in ein Feuerwerk kapitalistischer Lebensart, die vortäuscht, dass sie etwas mit Kunst zu tun hat.

Ein Millionär mit Problemen: Rapper Rin beim FAQ Bregenzerwald.
Ein Millionär mit Problemen: Rapper Rin beim FAQ Bregenzerwald.

Hipsterinnen und Hipster sind auch da. Die Remise Wälderbähnle in Bezau ist voll. Und viele sind besonders gut angezogen, urban und trendy. Es ist Nachmittag. Es ist einer der letzten Sommertage. Und es ist heiß, was das FAQ Bregenzerwald heute bietet. Heißer Scheiß jedenfalls für Vertreter und Gläubige(r) aus der Generation "Deutschrap" und "Fetzenindustrie" und "Turnschuh-Börse". Wie heiß das ist, wird erst später in einer WhatsApp-Nachricht deutlich.

In der Remise wird ein Podcast aufgezeichnet "Machiavelli" heißt er. Untertitel "Rap und Politik". Die Podcastmacher Jan Kawelke und Vassili Godol erklären zunächst, wer der war, dieser Machivelli. Wer schon vor dem Kommen von dem Florentiner Denker gehört hat, folgert leicht und richtig: Es geht, so wird behauptet, in dem Podcast um die Wechselwirkung aus Politik und Rap, und weil Rap Mode ist und weil sich die Modewelt in der Popwelt was abschaut und weil das Geschäft am besten läuft, wenn alle mitmachen, bestehen dieses Wechselwirkungen zwischen Welt und Rap und Mode. So. Oder so ähnlich. Genauer wird nicht nachgefragt. Denn es stellt sich schnell heraus, dass die beiden Gäste so tief in ihren Business-Welten feststecken, dass ein Weitblick, den das FAQ Bregenzerwald sonst gerne und mühelos wirft, in einer Selbstbeschau stecken bleibt, formuliert mit der unerträglichen Leichtigkeit der Stoff- und Reim-Lieferanten.

Aber ist auch gut, denn so erfährt man etwas vom Leiden in den Bergwerken des Kapitalismus, in den Rap-Reimezimmern und in den Hinterstuben der Modehäusern. Und man erfährt es durch jene, die ihn befeuern, diesen Kapitalismus.

Wer die Podcast-Gäste sind, müssen die Moderatoren im Gegensatz zu Machiavelli vielen nicht erklären: Martina Tiefenthaler und RIN sitzen in der Remise. Sie: Modeschöpferin, gebürtig in Vorarlberg. Er: Deutschrapper. Sie: Chief Creativ Officer bei Balenciaga (es wird gesagt, das sei die heißeste und einflussreichste Modemarke der Gegenwart). Er: schwäbischer Bub aus bescheidenem Haus, Verkäufer in eigener Sache, Reimer, Modelabel-Gründer, millionenfach verkaufte Musik. Heute wird mit den beiden eine Podcast-Folge beim FAQ Bregenzerwald aufgezeichnet.

Da sitzen also zwei, die mittendrinn sind im Geschäft, im Ganz-Big-Business. RINs Deutschrap, eine geschmeidig schmierige, jeder Aufregung unverdächtige Einlullung besticht mit zentralen Zeilen wie: "5000 Euro Schuhe überall". Er singt von Modemarken, streut lose allerlei popkulturelle Verweise ein, singt von Frauen, die selten gut wegkommen (oder gut genug sind), und er singt, dass es ihn nichts schere, wenn seine sündteure Uhr sagt, der Tag breche an, denn "von einem Accessoire lasse er sich nichts anschaffen".

RIN kreiert Schlager für die Generation Sneaker und Netflix, brav, konsumorientiert. Und das Geschäft rennt. "So funktioniert eben die Wirtschaft", sagt RIN dazu. Eine Frau im Publikum, nicht in Hipster-Streetware, sondern in einem Sommerkleid, sagt: "Nein. Nicht die Wirtschaft, der Kapitalismus funktioniert so." Aber um genaue Kleinigkeiten, um akkurate Wortwahl geht es hier nicht. Es geht auch nicht um einen akkuraten Blick auf Geschichte (etwa die der seit Jahrzehnten existierende Wechselwirkung aus Pop und Mode). Geschichte steht bloß im Weg, wenn das Hier und Jetzt ausgekostet werden will. Es geht ums Große, nichts ums Ganze.

In dem Gespräch und im Geschäft der beiden geht es um sündteure Turnschuhe, um immer neue, freshe Outfits, um Müllsäcke, die eigentlich Handtaschen sind und 2000 Euro kosten. Manchmal könnte es auch um die Möglichkeit gehen, seine Bekanntheit für einen guten Zweck einzusetzen. Mehr aber geht es um den Einfluss, der sich am Ende an der Kasse bezahlt macht.

Und die beiden erzählen dann, wie sie sich in ihren kapitalistischen System gefangen fühlen. Und RIN erzählt, dass er einen Porsche fahre. Der scheint allerdings nicht das Wenigste von dem zu sein, was er besitzt.

"Muss ich einen Rapper namens Rin kennen?", schreibe ich während der Show dann als Whats-App-Nachricht an die 18-Jährige Tochter. Sie schreibt "OMG" zurück. In diesen drei Buchstaben ist ein Vorwurf wegen der offenbar geworden Unkenntnis des Laufes der Welt ebenso enthalten, wie die Begeisterung, dass der Vater jetzt dem Rap-Helden so nahe sitzt. "Du machst Witze oder?", steht in der nächsten Nachricht. Und dann, da redet RIN gerade darüber, dass er reich ist, und das auch immer sein wollte und jetzt aber gar nicht so recht weiß, wie er damit umgehen soll, weil: "Ich bin halt schon sehr vorn dran im Kapitalismus" - als der Rin also so dahinplaudert aus seiner Welt, schickt das "Kind" einfach nur noch ein paar Songtitel als Nachhilfe: "Alien" und "Dior 2001" und "Keine Liebe". Eine ständige Wiederholung klingt da, ein Soundtrack, für die Zeit, wenn einem so fad ist, dass man nicht einmal mehr Shoppen gehen will. Die Songs sind eine Dauerwerbesendung, in der dauernd Produktnamen auftauchen, Gut verkaufbarer, schnell gelikter Sound jedenfalls, weil alles recht smooth und so unverdächtig, wie harmlos daherkommt und damit ein ein trendiges Lebensgefühl, das die Idee eines fernen Glitzerlebens formuliert. So geht Pop - im Prinzip. So wird Pop zum Millionending, wenn man vor allem reich werden will. Seinen Erfolg verstehe er ja als so etwas wie "die Akzeptanz des Proletariats", sagt RIN. Und weil die beiden Moderatoren das alles auch so sehen, wird gar nicht nachgefragt, sondern der Hedonismus mitgefeiert. Party statt Politik.

Und RIN sagt dann ganz ernsthaft, es tue ihm ja auch weh, wenn jetzt, nachdem ihn seine als Song getarnten Werbeeinschaltung reich gemacht haben, "einer kommt mit einem 800 Euro-T-Shirt". Und gerne würde er dann sagen: "Sei klüger als ich es war." Und in einem seiner Songs singt er über eine "Bitch", die nicht ihn anschaut, sondern "den Typen mit den Nikes".

"Es ist ja alles zum Lachen, was man den ganzen Tag macht", sagt Martina Tiefenthaler. Aber sie macht es halt, ist eben ihr Job. Die Kaufwelt will mit neuen Dingen beglückt werden. Tiefenthaler liefert, neue Stoffe, neue Farben, neue Formen. Dabei seinen "doch nach diesen Jahren alle müde, aber kaufen trotzdem mehr. Alles ein Wahnsinn", sagt Tiefenthaler. Und RIN, sagt er wird ein neues Album aufnehmen. Er gehe davon aus, dass dieses Album sein bisher "inhaltlichstes" werden wird.

Gegen Ende der unbremsten Referate aus der Glitzerwelt dampft dann zufällig das Wälderbähnle von einer Ausfahrt zurück, fährt auf dem Bahnsteig neben der Remise ein. Auf dem Fahrplanplakat wird für die Bahn mit einem Satz geworben:"Im Rhythmus der alten Zeit". Martina Tiefenthaler sagte ein paar Minuten zuvor über die Branche, in der sie für Nachschub zuständig ist: "Es wächst ohne Ende. Und das ist das Problem. Aber alles muss wachsen, wachsen und wachsen."

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