Zuerst passierte wochenlang nichts, dann überschlugen sich die Ereignisse. Ulrike Lunacek trat nach der angespannten Situation als Staatssekretärin für Kunst und Kultur zurück. Knapp zwei Stunden später verkündeten Vizekanzler Werner Kogler und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne) den weiteren Fahrplan für Öffnungen. Es gab grünes Licht für Veranstaltungen ab Ende Mai, für Kinos ab Anfang Juli und grünes Licht aus Salzburg für den "Jedermann" im August. Dazu folgte eine Absage der Bregenzer Festspiele. Dramaturgisch könnte man den Freitag für die Kulturbranche in Österreich als einen Wendepunkt bezeichnen. Ob es sich nun zum Guten wenden wird, bleibt offen.
Kulturbranche: "Wir brauchen eine starke Stimme"
Die Branche hatte die Kulturpolitik der türkis-grünen Regierung in den vergangenen Wochen heftig kritisiert. Der Rücktritt Lunaceks wird aber nicht als Lösung des Problems betrachtet. Es sei wohl ein unausweichlicher Schritt gewesen, sagte etwa Stella Rollig, Direktorin des Belvedere Museums. Lunacek sei das Opfer einer Reihe von Fehl- und Nicht-Entscheidungen von männlichen Politikern gewesen. "Dass nun eine Frau den persönlichen Schaden davonträgt, ist höchst bedauerlich, aber leider wohl strukturell signifikant in einer Zeit wieder dieser." Die Zusammenarbeit mit Lunacek habe Anfang des Jahres mit positiven Signalen begonnen und sei vor Corona "noch sehr gut" gewesen, es habe persönlichen Austausch gegeben. In der Krise seien dann "zu viele Problemfelder aufgegangen. Dass die Wiedereröffnung der Museen nicht abgesprochen war, war allerdings wirklich ungeschickt und hat große Probleme für uns verursacht", führt Rollig aus. Von der Nachfolgerin wünsche sie sich, dass diese sich alle Zeit der Welt nehme, 20 Stunden am Tag arbeite, um mit Vertretern aller Kunstsparten zu sprechen.
Albertina-Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder führt den Rücktritt Ulrike Lunaceks auf die fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Position selbst zurück. Die mangelnde Kompetenz des Amtes "hätte man in normalen Zeiten gar nicht bemerkt. Aber in der Krise braucht man Macht." Yvonne Gimpel von IG Kultur vermeldete am Freitag: "Der Rücktritt von Lunacek löst keine drängenden Probleme." Es brauche wirksame Hilfen und brauchbare Konzepte sowie "eine starke Stimme. Jemanden mit ausgewiesener Kulturkompetenz und Politikerfahrung."
Stimmen aus der Politik: Lösungen statt Rücktritt
Die Reaktionen auf den Rücktritt Lunaceks fielen unterschiedlich aus. Bei aller inhaltlichen Kritik tue ihm Lunacek leid, sagte Neos-Kultursprecher Sepp Schellhorn, der die Kulturpolitik der Grünen zuvor lautstark kritisiert hatte. "Sie wurde ja komplett alleingelassen - das ist das Desaströse und manifestiert die Krise der Regierung." Es dürfe nun in keiner Weise zu einer Zeitverzögerung kommen. "Zum Beschnuppern, Abtasten und Kennenlernen wird jetzt keine Zeit sein. Wer immer auch kommt, muss rasch handeln."
SPÖ-Kultursprecher und einstiger Kulturminister Thomas Drozda verlautbarte, dass ihn der Rücktritt nicht überrascht hätte. Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit ihrem Rückzug eigentlich die Verantwortung für das kulturpolitische Scheitern von ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und Kulturminister Werner Kogler übernehme, sagt Drozda. Er forderte eine rasche Neuaufstellung des Ressorts: "Es braucht ein starkes Ministerium für Kunst und Kultur, das mit umfassenden Kompetenzen ausgestattet ist." FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl sprach von "verheerenden Entwicklungen". Daran seien aber sämtliche Regierungsmitglieder beteiligt gewesen. Man könne jetzt überhaupt auf das Staatssekretariat verzichten. Kogler solle diese Aufgabe übernehmen, meint Kickl.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte, ihr wären Lösungen lieber gewesen als ein Rücktritt. Sie gehörte zu den prominentesten Kritikerinnen Lunaceks. Sie hatte zuletzt einen Brief an die Staatssekretärin geschrieben, in dem sie fünf Problemfelder aufgerissen hatte, die dringend zu berücksichtigen seien. Unter anderem hatte die Landeshauptfrau für die Künstler um Kommunikation auf Augenhöhe gebeten und Klarheit in den zeitlichen und organisatorischen Vorgaben für Kulturveranstalter eingefordert. EU-Abgeordneter Othmar Karas (ÖVP) zeigte sich in einem Pressegespräch "sehr traurig" über Lunaceks Rücktritt. Die Coronakrise sei eine "so gewaltige Krise, dass wir sie nur gemeinsam bewältigen können". "Die Reduktion auf eine Person halte ich für einseitig", sagte Karas. Regina Petrik, Landessprecherin der burgenländischen Grünen zollte ihrer Parteikollegin für ihren Abgang Respekt. Lunacek habe mit dem heutigen Schritt und ihrem Statement "gezeigt, dass sie eine Politikerin von Format ist und so kenne ich sie auch."

Kogler: "Jetzt ist nicht so viel gelungen"
Die Ernennung Lunaceks als Staatssekretärin für Kultur wurde bereits bei Bekanntgabe im Jänner kritisiert. Werner Kogler übernahm dafür die Verantwortung: "Es war de facto meine Entscheidung". Die Idee sei gewesen, ihr europapolitisches Profil für die heimische Kulturlandschaft zu nutzen. Dann sei aber die Coronakrise gekommen, und die Grenzen seien dicht gewesen. Lunacek sei "wirklich eine großartige Politikerin", so Kogler, der aber einschränkte: "Jetzt ist nicht so viel gelungen, das stimmt."
Die Nachfolgerin wolle Kogler am Dienstag oder Mittwoch verkünden. Klar ist, dass es eine Frau sein wird. Der Vizekanzler habe sogar schon eine Favoritin, verraten wollte er sie in der "ZiB" am Freitagabend aber noch nicht. Kultursprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, die zuvor Kritik an Lunacek geübt hatte, werde es jedenfalls nicht, wie sie selbst am Freitag bekannt gab. Die einstige Kultursektionsleiterin Andrea Mayer (frühere Ecker) wird bereits als Nachfolgerin gehandelt. Darauf angesprochen, attestierte Kogler dieser, die Kriterien zu erfüllen. Mayer leitet derzeit die Präsidentschaftskanzlei von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Ihr wurde im Jahr 2018 das Ehrenzeichen des Landes Salzburg verliehen, nachdem sie im Kuratorium der Salzburger Festspiele den brenzligen Abgang von Alexander Pereira Richtung Mailand moderiert hatte. "Mir ist wichtig, dass wir eine professionelle, kompetente und ebenso engagierte Person bekommen werden", sagte Kogler abschließend zur Personaldebatte.