Sportmediziner Josef Niebauer erklärt im SN-Interview, was beim Laufen, Skifahren und Radeln in der Kälte zu beachten ist. Der Kardiologe gibt zudem Tipps, wie selbst Anfänger nun Kondition aufbauen können.
SN: Herr Niebauer, wie kann ich mein Immunsystem im Winter stärken?
Josef Niebauer: Indem ich hinausgehe. Mein Immunsystem stärke ich, Sommer wie Winter, indem ich Sport treibe. Der Körper lernt dadurch, mit Extremsituationen umzugehen. Sport simuliert Entzündungen: Der Körper lernt, damit umzugehen und sich auf unterschiedliche Temperaturen und Wind einzustellen. Dinge, die wir üben, können wir.
SN: Spazieren gehen ist aber nach den vielen Lockdowns langweilig ...
Das kann ich gut nachvollziehen. Wenn es noch halbwegs warm ist, kann man noch Rad fahren. Aber ich verstehe, dass das Angebot momentan schrumpft: Fitnesscenter haben zu, Gruppenkurse können nicht stattfinden. Ich hoffe aber, dass der Winter bald das Repertoire erweitern wird. Im Lockdown muss man sich seine Bewegung suchen, indem man etwa zu Fuß einkaufen geht. Rodeln ist auch eine super Geschichte - wenn man den Schlitten selbst hinaufzieht.
SN: Aber es ist kalt. Verkühlt man sich da nicht?
(lacht) Wenn ich etwas nicht machen möchte, finde ich immer eine Ausrede. Jeder, der draußen Sport treibt, weiß, dass man sich dabei nicht verkühlt. Wenn wir aktiv sind, ist der Körper erwärmt. Da hat die Erkältung keine Chance. Wenn wir aber dann nass geschwitzt herumsitzen und zu frieren anfangen, kann es schon passieren. Deshalb nicht auskühlen und ein trockenes Leiberl dabeihaben - oder ein Gilet drüber anziehen.
SN: Manche klagen im Winter nach dem Laufen über Halsweh. Oder die Lunge fühlt sich wegen der kalten Luft nicht gut an.
Es gibt keinen physiologischen Unterschied zwischen Läufer und Nichtläufer. Die kalte Luft ist Empfindungssache: Sie haben Angst vor Dingen, vor denen man aber keine Angst haben muss. Ich fahre jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit. Wenn es kälter wird, nehme ich anfangs einen Schal vor den Mund - bis mir langsam warm wird. Das unangenehme Gefühl der kalten Luft entsteht, wenn ich unaufgewärmt eiskalte Luft einziehe. Beim Joggen kann man etwa zuerst mal gehen, dann locker laufen - so wie sich die Atmung gut anfühlt.
SN: Ist jetzt im Winter die richtige Zeit, um Kondition aufzubauen?
Ja, klar. Es gibt keinen Grund, warum der Lockdown mit mehr Gewicht und weniger Kondition enden soll. Die Normalbevölkerung legt jeden Tag durchschnittlich 300 bis 700 Meter zurück. Ich bin dankbar für alles, das sie tut. Durch das Homeoffice haben viele Menschen jetzt aber mehr Zeit: Sie können flexibler arbeiten, die Fahrt zur Arbeit fällt weg. Die Zeit kann man nutzen, um Kräftigungsübungen zu machen, laufen zu gehen. Dann kommt man aus dem Lockdown super vorbereitet auf die Skisaison heraus.

SN: Aber was ist, wenn man plötzlich nicht mehr kann? Dann muss man schweißgebadet kilometerlang wieder zur Wohnung gehen …
Wichtig ist eine realistische Einschätzung, wie fit man ist. Die Situation, die Sie beschreiben, kann man vermeiden: Laufen Sie einige Runden um den Häuserblock statt einer großen Strecke. Oder joggen sie Achter. Dann sind Sie zur Halbzeit wieder da, wo Sie losgelaufen sind. Wenn es heute passt, können Sie ja dann noch zwei Kilometer anhängen. Wichtig ist, die Latte tief anzusetzen. Wenn man sich anfangs viel vornimmt und das dann nicht schafft, dann gibt es viele Gründe, um wieder aufzuhören. Kleine Runden sind auch dann intelligent, wenn zwar das Herz-Kreislauf-System für größere Strecken fit genug wäre - aber die Bänder und die Muskulatur noch nicht. Deshalb locker anfangen und gemütlich steigern.
SN: Beim Schneeschuhwandern haben viele Bedenken: Ist durch die Kälte nicht das Verletzungsrisiko erhöht?
Sie sollten sich vorbereiten und die Muskulatur gezielt stärken. Sonst tut es nachher wochenlang weh. Ich werde nicht fit durch das Skifahren oder das Schneeschuhwandern - sondern ich gehe fit in die Wintersaison rein. Dann können Sie es auch genießen, wenn es so weit ist.
SN: Aber es wird so bald finster …
Ja, klar. Das verstehe ich. Oder ich nehme es zur Kenntnis: Es ist halt so. Aber dieser Fakt darf keine Konsequenzen für mich haben. Wenn ich bisher um 18 Uhr laufen gegangen bin, sollte ich das auch jetzt tun. Die Antwort wäre sonst, nur samstags und sonntags bei Sonnenschein vor die Tür zu gehen. Dann würde Sie aber ein Viertel des Jahres nichts machen! Nur weil es finster ist, muss es nicht schlechter sein. Es ist stiller, bedächtiger draußen. Man sieht die Gegend mit anderen Augen, ist weniger abgelenkt und die Gedanken fliegen besser. Wir Menschen können uns anpassen. Der Winter ist, wie er ist. Aber er wird, was wir daraus machen.
Josef Niebauer ist Sportmediziner und Kardiologe. Der 58-Jährige leitet das Universitätsinstitut für präventive und rehabilitative Sportmedizin am Uniklinikum Salzburg und ist an den Landeskliniken zuständig für die betriebliche Gesundheitsförderung.