Gerade wenn es kälter wird, greifen sie wieder vermehrt um sich: Krankheitserreger wie die Grippe und seit 2019/2020 auch das Coronavirus. Der Körper muss in dieser Zeit mit dem Wechsel auf niedrigere Temperaturen zurechtkommen, die körpereigenen Abwehrkräfte werden auf die Probe gestellt. "Das Immunsystem verteilt sich auf unseren ganzen Körper", erklärt Winfried Pickl, der die Abteilung für Zelluläre Immunologie und Immunhämatologie am Institut für Immunologie an der Medizinischen Universität Wien leitet. Man unterscheide zwischen primären und sekundären Immunorganen, sagt Pickl. "Die primären sind das Knochenmark und die Thymusdrüse, die hinter dem Brustbein sitzt, die sekundären sind die im ganzen Körper verteilten Lymphknoten, die Milz im linken Oberbauch sowie die Lymphgewebe, die unsere Atem- und Verdauungsorgane säumen."
"Bewegung und ausgewogene Ernährung sind entscheidend." Winfried Pickl, Immunologe
Knochenmark und Thymusdrüse seien die Quelle der Immunzellen, sagt Pickl. Erst wenn sie sich dort fertig entwickelt haben, sei es ihnen erlaubt, "hinauszuwandern" und die peripheren Lymphorgane wie beispielsweise die Lymphknoten und Milz zu besiedeln. Die Lymphknoten stellten dabei eine Art Treffpunkt für die Immunzellen dar, erklärt Pickl: "Das ist wie der Tanzboden, wo die Leute zusammenkommen und sich untereinander austauschen, was sich gerade in der restlichen Welt - in dem Fall im eigenen Körper - so tut. Außerdem werden hier bereits die wichtigsten Informationen herausgefiltert, etwa Krankheitserreger oder Teile davon." Denn im Körper laufe eine ständige Überwachung ab. "Jede Zelle im Körper muss gegenüber den Immunzellen ihre Identität vorzeigen und beweisen, dass sie rechtmäßig an den jeweiligen Platz gehört."
Granulozyten und Makrophagen seien mit ihren Rezeptoren in der Lage, fremde molekulare Muster auf Krankheitserregern zu erkennen und unschädlich zu machen. Dabei komme es zu der Aktivierung des Immunsystems. "Die T-Lymphozyten wiederum können sogar ,in die Körperzellen hineinschauen'", sagt Pickl. "Erkennen sie Eiweißstoffe, die nicht die körpereigenen sind, beispielsweise von einem Virus, schlagen sie Alarm."
"Uns steht eine Armee an 'Einsatzkräften' zur Verfügung. Winfried Pickl, Immunologe
Im Ernstfall sei es eine ganze Armee an Einsatzkräften, die dem Körper in Form von unterschiedlichen Immunzellen und löslichen Faktoren wie Antikörpern zur Verfügung stehen, sagt Pickl: "Darauf baut auch das Prinzip des lang andauernden immunologischen Gedächtnisses auf. Wir tragen sozusagen gut ausgebildete, erfahrene und schnelle Eingreiftruppen für alle möglichen Krankheitserreger in uns, die im Bedarfsfall rasch an den Wirk- und Einsatzort transportiert werden können." Damit diese Alarmierung im ganzen Körper gut funktioniere, seien an den wichtigen Grenzflächen des Körpers - genauer der Haut, wie auch den Schleimhäuten von Atem- und Verdauungstrakt - sogenannte Wächterzellen positioniert. "Diese sind innig mit dem jeweiligen Gewebe verbunden. Wenn sie Gefahrensignale und Fremdstoffe aufnehmen, also beispielsweise bei Krankheitserregern und Teilen davon, können sie das restliche Immunsystem, vor allem die T-Lymphozyten, aktivieren", sagt Pickl. Das passiere dann typischerweise in den Lymphknoten, wohin die Wächterzellen bei einer Aktivierung abwandern. "Sollten ganze Krankheitserreger in die Lymphknoten über die Lymphe eingeschwemmt werden, so werden sie von Makrophagen aufgefressen. Kleinere Fremdstoffe wiederum werden von Wächterzellen im Lymphknoten herausgefiltert."
Antikörperfabriken
Neben den T-Lymphozyten gebe es zudem die B-Lymphozyten im Lymphknoten, die sich nach Fremdstoffkontakt zu Plasmazellen entwickeln - und damit zu regelrechten Antikörperfabriken. "Es können allerdings nur dann Antikörper gebildet werden, wenn die B-Zellen auch die Möglichkeit haben, bestimmte Krankheitserreger zu erkennen, und wenn diese B-Zellen in einer gewissen Menge vorhanden sind", sagt Pickl. "Genau das erreicht man mit einer Impfung: Den B-Zellen wird ein Fremdstoff angeboten, beispielsweise ein Coronavirus, woraufhin B-Zellen aktiviert werden, sich vermehren und ihre Oberflächenrezeptoren in eine lösliche Form überführen, also Antikörper freisetzen." Seien die Antikörperspiegel hoch und gegen die wichtigen Anteile eines Krankheitserregers gerichtet, entstehe eine sterile Immunität. Bei erneutem Kontakt könne man nicht mehr mit dem Krankheitserreger angesteckt werden.
Zwei Kreisläufe sind entscheidend
Um das eigene Immunsystem zu stärken, seien zwei Kreisläufe im Körper entscheidend: der des Bluts und der der Lymphgefäße. "Ausgehend von den Lymphknoten, die ja die Treffpunkte für Immunzellen im Körper darstellen, müssen diese Zellen möglichst rasch im Körper herumwandern können, um dorthin zu gelangen, wo Krankheitserreger gerade eingedrungen sind und sich vermehren", sagt Pickl. "Dabei bewegen sich die Immunzellen zunächst über die Blutbahnen zum Infektionsort, die Wächterzellen bewegen sich in genau umgekehrter Richtung - und zwar vom Infektionsort über die Lymphgefäße zu den Lymphknoten." Bewegung, am besten an der frischen Luft (siehe auch Seite 2), und ausreichend Flüssigkeit seien der Schlüssel, um beide Kreisläufe in Schwung zu halten. "Es geht um ein vernünftiges kardiovaskuläres Training - das kann Schwimmen, Laufen, Wandern, Spazieren und vieles mehr sein." Ein Saunabesuch, Kaltwasserbehandlungen, wie beispielsweise beim Kneippen, oder Lymphdrainagen regen die Kreisläufe ebenso auf positive Art und Weise an.
Auch der Darm spielt eine große Rolle
Auch eine gesunde und ausgewogene Ernährung sei für die körpereigenen Abwehrkräfte entscheidend, betont Pickl. "Der Darm spielt eine große Rolle in unserem Immunsystem. Hier gibt es in der Forschung zurzeit viele neue Erkenntnisse und es ist auch nur logisch: Auf insgesamt 400 Quadratmetern - zählt man Speiseröhre, Magen und den gesamten Darmtrakt samt den vielen Darmzotten dazu - beschäftigt sich der Körper mit einer großen Menge an Fremdsubstanzen, die tagtäglich von außen in ihn hineinströmen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fremdstoffen ist naturgemäß ein wichtiger Prozess in unserem Immunsystem."
Tägliche Herausforderungen auch im Atemtrakt
Vor allem in Zeiten der Pandemie stelle auch der Atemtrakt mit seinen Schleimhäuten und der Lunge eine entscheidende Grenzfläche dar, auf der das Immunsystem täglich herausgefordert werde. "Das bedeutet, dass sowohl eine ausgewogene und kaloriengerechte Ernährung und damit die Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen als auch die ganzjährige Bewegung an der frischen Luft ganz entscheidend für unsere Immungesundheit sind", sagt Pickl. Neben dem für seine abwehrstärkende Wirkung bekannten Vitamin C sei auch Vitamin D essenziell. "Das können wir über Sonnenlicht auf der Haut selbst produzieren. Regelmäßig ans Tageslicht zu gehen unterstützt das Immunsystem", erklärt Pickl.
Immunsystem ist auf Bewegung ausgelegt
Grob zusammengefasst sei das Immunsystem ein effizientes Zusammenspiel vieler verschiedener Überwachungs- und Abwehrvorgänge. Um gut zu funktionieren, benötige es regelmäßiges körperliches, aber auch immunologisches Training, etwa über Impfungen, betont Pickl: "Das Immunsystem ist darauf ausgelegt, dass wir viel auf den Beinen sind und unseren Körper aktiv benutzen, so wie das jahrtausendelang der Fall war. Und nicht, dass wir die meiste Zeit sitzen, wie es in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zur Gewohnheit wurde."