SN.AT / Leben / Gesundheit

Facharzt erklärt: Der Stress und seine direkten Auswirkungen auf Magen und Darm

Die Erforschung der Darm-Hirn-Achse steckt noch in den Kinderschuhen. Fest steht, dass ihre Entdeckung bahnbrechend für die Medizin ist.

Warum Entspannung so wichtig ist - auch für die Verdauung.
Warum Entspannung so wichtig ist - auch für die Verdauung.

Vor lauter Aufregung Schmetterlinge im Bauch haben. So wütend sein, dass einem die Galle hochkommt. Oder aber sich solche Sorgen machen, dass einem etwas wie ein Stein im Magen liegt. Der Volksmund weiß schon lange, was in der Medizin erst seit etwa 10 bis 20 Jahren zum intensiven Forschungsgegenstand wurde: dass Darm und Gehirn miteinander verbunden sind. Auch Clemens Dejaco von der Meduni Wien, Facharzt für Innere Medizin und Leiter der fachspezifischen Psychosomatikambulanz sowie stellvertretender Leiter der Gastroenterologie und Hepatologie am Uniklinikum Wien, beschäftigt sich mit dieser Verbindung, die auch Darm-Hirn-Achse genannt wird. "Sie stellt die biologische Grundlage dafür dar, dass es Wechselwirkungen zwischen Körper und Psyche geben kann", erklärt der Experte.

Stress, der auf den Magen schlägt

Nicht überlebensfähig wäre der Mensch ohne den Hypothalamus, der als Steuerzentrum das vegetative Nervensystem und den Hormonhaushalt reguliert. "Ebendieser Bereich des Gehirns ist es auch, der Alarm schlägt, sobald wir in Stress geraten", sagt Dejaco, "ursprünglich hatte diese Reaktion eine physiologische Funktion. Durch das von der Nebennierenrinde ausgeschüttete Cortison und die dadurch freigesetzte Energie sind wir in der Lage, in einer Gefahrensituation rasch zu handeln, entweder zu kämpfen oder zu fliehen." Der Sympathikus, ebenfalls ein Teil des vegetativen Nervensystems, erhöht die Herzfrequenz, beschleunigt so die Atmung und Durchblutung - und hemmt wiederum die Aktivität des Magen-Darm-Trakts, sodass die Energie in die muskuläre Leistungsbereitschaft des Körpers fließen kann.

Immer wieder zu Ruhe und Entspannung zu finden spielt, auch durch die Verbindung von Gehirn und Darm, für den ganzen Körper eine wichtige Rolle.
Immer wieder zu Ruhe und Entspannung zu finden spielt, auch durch die Verbindung von Gehirn und Darm, für den ganzen Körper eine wichtige Rolle.

Denkt man nun an den Lebensalltag vieler Menschen, in dem Stress keineswegs mehr nur einen Besucher in Ausnahmesituationen darstellt, sondern dieser eher zum Dauerbegleiter mutiert, kann die eigentlich zum Schutze eines Menschen programmierte Strategie des Körpers nach hinten losgehen und ihm eher schaden als nutzen. "Die Natur hat nicht vorgesehen, dass wir in einer Kampf- oder Fluchtsituation auch noch verdauen müssen. Angedacht war, erst diese Situation zu meistern und im Anschluss in Ruhe zu essen und zu verdauen", erklärt Dejaco.

Das Mikrobiom, die Psyche und das Henne-Ei-Problem

Denn verdauungsfördernd wirkt wiederum der Gegenspieler zum Sympathikus, der Parasympathikus. "Befindet sich jemand im dauernden Kampf- oder Flucht-, sprich Stresszustand, kommt der Parasympathikus zu wenig zum Zuge. Das kann unter anderem zu Problemen bei der Verdauung selbst führen, beispielsweise zum Leaky-Gut-Syndrom, bei dem die Barrierefunktion der Schleimhaut des Dünndarms gestört ist. Auch ist der Darm dann anfälliger für Erkrankungen", sagt Dejaco. Die Störung der Darmflora, in der Medizin auch mit dem Begriff Mikrobiom bezeichnet, könne zu einer ganzen Reihe von körperlichen wie auch psychischen Problemen führen. "Aus diesem Grund könnte man die Darm-Hirn-Achse auch als Darm-Hirn-Mikrobiom-Achse bezeichnen." Erst in den letzten Jahren habe sich beispielsweise gezeigt, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen eine sich ähnlich im Ungleichgewicht befindende Darmflora aufweisen wie Menschen mit Verdauungsstörungen.

"Neue Ansätze möglich, um Krankheiten zu behandeln."
Clemens Dejaco.
Facharzt für Innere Medizin

Ein Zusammenhang scheint angesichts dieser Erkenntnis gegeben, allerdings stehe man in der Medizin vor dem Henne-Ei-Problem, beschreibt Dejaco: "War die Störung im Mikrobiom zuerst da und möglicherweise ein Faktor, der die psychische Erkrankung mitbedingt hat, oder hat sich das Mikrobiom durch die psychische Erkrankung zum Negativen verändert?" In Experimenten mit Mäusen habe sich jedenfalls gezeigt, dass jene Mäuse, deren Mikrobiom aus dem Gleichgewicht gebracht war, plötzlich deutlich ängstlicher auf ihr Umfeld reagierten als zuvor mit gesundem Mikrobiom. "Auch wissen wir, dass bei Patientinnen und Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Angststörungen und Depressionen signifikant häufiger auftreten als bei gesunden."

Wie das Smartphone der Gesundheit schaden kann

Selbst wenn in der Medizin in vielen Fällen noch nicht klar ist, welches Problem das ursprüngliche war, so steht doch fest, dass ein gesundes Mikrobiom potenziell die Psyche positiv beeinflussen kann und andersherum eine gesunde Psychohygiene die Verdauungstätigkeiten und damit auch das Mikrobiom des Körpers. Dejaco empfiehlt daher einige Lebensstiladaptionen, die Körper und Psyche entsprechend verbinden: "Eine mediterrane Kost, ausreichend Bewegung, eine Reduktion von Stress, ausreichend Schlaf für das Gehirn."

Zum Stress steuere bei den meisten Menschen maßgeblich das Smartphone bei: "Der Umgang mit diesem Gerät ist wesentlich für Stressgefühle im Alltag. Wir sind nicht zuletzt durch das Smartphone kontinuierlich Stress ausgesetzt und die negativen Einflüsse, die das auf uns nimmt, kommen mit Studien immer mehr zutage." Er könne nur an jede und jeden appellieren, den eigenen Konsum von Social Media und Co. kritisch zu hinterfragen. Vor allem die ständige Erreichbarkeit und den Druck, rasch auf Anrufe und Nachrichten reagieren zu müssen, sieht der Arzt als große Gefahr für die psychische wie auch - gemäß den Erkenntnissen aus der Erforschung der Darm-Hirn-Achse - körperliche Gesundheit. "Jeder Mensch braucht seine Intimität, seine Zeit, in der er nicht erreichbar ist. Wir sind nicht arm, wir müssen nur Selbstfürsorge und Selbstachtsamkeit betreiben, damit es uns gut geht." Entspannungs-, Achtsamkeitstechniken seien empfehlenswert, um sich weg von einem Dauerstress und hin zu mehr Ruhe zu begeben.

Neue Chancen für die Behandlung von Krankheiten

Dejaco sieht in der Erforschung der Darm-Hirn-Achse einen riesigen Pool an Möglichkeiten für die Zukunft der Medizin. "Die Entdeckungen sind hier im Fluss und es kommen ständig neue Informationen ans Licht. Da ist es möglich, dass wir lernen, Behandlungen für bestimmte Erkrankungen ganz anders anzugehen, als wir es bisher getan haben. Bei derzeit fehlenden Möglichkeiten, durch Einnahme von Probiotika die menschliche Psyche gezielt zu beeinflussen, erscheint es doch sehr spannend und interessant, diesen Ansatz weiter zu verfolgen. Die aktuell intensive Forschung an der Bauch-Hirn-Achse und dem Mikrobiom lässt für die Zukunft völlig neue, vielversprechende Behandlungsoptionen für eine Reihe von Erkrankungen, den gesamten Organismus betreffend, erwarten."