Ernährungswissenschafter Tilman Kühn von der MedUni und der Uni Wien berichtet.
Was sind Spirulina und Chlorella genau? Tilman Kühn: Das sind Mikroalgen. Während Spirulina zu den Cyanobakterien gehören und vor allem in salz- und mineralreichen subtropischen und tropischen Seen vorkommen, sind Chlorella in vielfältigen Gewässern zu finden, auch in Österreich. Beide Algen werden für Nahrungsergänzungsmittel gezüchtet.
Welche Nährstoffe sind denn in den Algen enthalten? In Algen gibt es viele interessante Inhaltsstoffe, insbesondere sekundäre Pflanzenstoffe wie bei Obst und Gemüse, von denen man in der Forschung hofft, dass sie antioxidativ wirken. Einige Algen sind zudem reich an Mineralien und Vitaminen. Chlorella enthalten zum Beispiel Vitamin B12, das gerade bei einer veganen Ernährung substituiert werden sollte, oder Jod, von dem viele Menschen in Österreich zu wenig zu sich nehmen. Allerdings sind die Gehalte dieser Nährstoffe in Chlorella-Produkten nicht ausreichend. Es gibt Meeresalgen mit hohen Mengen an Omega-3-Fettsäuren, die sich ansonsten vor allem in fettreichen Fischen finden und unter anderem für Schwangere wichtig sind, weil sie die neurologische Entwicklung des Babys fördern. Spirulina und Chlorella enthalten diese jedoch nicht, weshalb ich die Sinnhaftigkeit der Einnahme dieser Algen infrage stelle.
Ist denn der Nutzen der sekundären Pflanzenstoffe in Spirulina nachgewiesen? Bislang kaum. Es gab zwar viele Experimente, bei denen Zellkulturen mit sekundären Pflanzenstoffen versetzt wurden, und man konnte beispielsweise beobachten, dass sich Krebszellen weniger rasch geteilt haben und entzündliche Vorgänge zurückgingen. Heutzutage weiß man allerdings, dass solche Experimente in der Petrischale zu 99 Prozent nicht beim Menschen funktionieren. Bei Spirulina gibt es bislang kaum Studien am Menschen selbst. Kleinere Kurzzeitstudien aus Asien zeigten zwar, dass bei Menschen, die täglich Spirulina zu sich nehmen, die Cholesterinwerte leicht zurückgingen. Der Pferdefuß dabei ist allerdings, dass die wesentlich wichtigeren Faktoren für gesunde Blutfettwerte ausreichend Bewegung und eine gesunde Ernährung sind. Die Wirkung der Algen im Vergleich dazu ist zu klein, als dass sich der Kostenaufwand in dieser Hinsicht lohnen würde.
Wie steht es um den Proteingehalt von Spirulina und Co., der auf Verpackungen beworben wird? Es stimmt, dass Algen hochwertiges Protein enthalten, das jenem im menschlichen Gewebe ähnelt. Allerdings ist der Gehalt der Proteine in den Supplementen verschwindend gering und sie eignen sich daher nicht für die tägliche Proteinzufuhr.
Könnten Algen künftig eine entscheidende Rolle für die Welternährung spielen Ja, das könnte bei Meerwasseralgen sein. Algen binden viel CO₂, deren Anbau ist also aus ökologischer Sicht interessant. Zudem ist es möglich, die Meerwasseralgen und damit die darin enthaltenen Nährstoffe auf Plantagen relativ kostengünstig und ohne Trinkwasser zu produzieren. Es gibt die große Hoffnung, dass sich Algen gegen Erkrankungen wie Alzheimer, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Parkinson einsetzen lassen könnten - doch bislang ist das alles auf die Petrischale beschränkt und nicht am Menschen nachgewiesen.