Ein sonniger Frühsommertag liegt über Wien - ideal für einen Ausflug in den Wienerwald am Stadtrand. Die auf dem Wilhelminenberg gelegene Jubiläumswarte ist dafür geeignet. Wer deren Stiegen schafft, darf sich über eine herrliche Aussicht mit anderen Ausflüglern freuen, die bei schönem Wetter oft bis zum Leithagebirge reicht. Doch was für die einen Menschen eine Freude ist, ist für andere wie Michael jedes Mal eine Herausforderung, wenn er die Stufen hinaufgeht. Denn er hat Höhenangst - so wie rund fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung.
Vermeidung verstärkt Höhenangst-Effekte
Höhenangst gehört zu den Angststörungen und äußert sich in einer Angst, die mit der Entfernung zum Boden zusammenhängt. Unterschieden werden mehrere Ausprägungen: leichte, mittlere und schwere Höhenangst. Wenn Michael etwa von Höhen in den Abgrund blickt, macht ihm Unbehagen zu schaffen. "Manche Personen können weder beim Fenster sitzen noch in hohe Gebäude gehen", erklärt Maria Chamarina, klinische Psychologin in Wien, die Betroffene wie Michael in der Praxis Phobius unterstützt. Explizite Auslöser für Höhenangst gebe es nur selten. Denn nicht die Erfahrung, sondern die Vermeidung von Situationen verschlimmere die Angstreaktionen der Betroffenen. Herzrasen, Schwindel, Atemnot oder "weiche Knie" gehören zu den unangenehmen Begleiterscheinungen, die auch Michael immer wieder zu schaffen machen.
Verhalten bei Höhenangst verstehen
Zuerst gehe es Maria Chamarina darum, sich in einem ersten Gespräch mit den Patientinnen und Patienten ein umfassendes Bild von deren Höhenangst zu verschaffen und herauszufinden, wie sie in welchen Situationen reagieren - etwa auf einer Dachterrasse oder einem Skilift, einer Burgruine oder eben auf einer Aussichtswarte. "Betroffene vermeiden gerne Situationen in der Höhe", sagt die Expertin, die sich seit ihrem Studium unter anderem mit Angststörungen eingehend auseinandersetzt. "Und lenken sich ab, indem sie Musik hören oder sich mit anderen unterhalten." All das helfe bei Höhenangst nur in dem Moment, jedoch nicht langfristig.
Michael überwindet Höhenangst erfolgreich
"Dass ich Höhenangst habe, weiß ich schon seit meiner Jugend", gibt Michael zu, dem es früher oft peinlich war, sie gegenüber Schulkolleginnen oder Freunden zuzugeben, weil er befürchtete, als Schwächling dazustehen. "Deswegen gehe ich Warten oder Burgen bis heute aus dem Weg." Am schlimmsten war es für ihn, als ein Freund von ihm vor Jahren den Polterabend in einem Waggon des Riesenrads in Wien feierte. Je länger der Abend dauerte und je ausgelassener die Stimmung oben war, desto mehr wackelte dieser, erinnert er sich: "Ich konnte es kaum erwarten, diesen Ort zu verlassen und wieder sicheren Boden unter den Füßen zu spüren."
Wenn man merkt, dass man allein nicht weiterkommt, kann eine therapeutische Begleitung sinnvoll sein, so Maria Chamarina. In einer ersten Sitzung erstellt sie mit ihren Patientinnen und Patienten einen Therapieplan, den sie auch gern als Schlachtplan bezeichnet. Dazu gehört neben dem Gespräch mit ihnen auch ein Test mit gezielten Fragen, welchen die Psychologin auswertet, bevor sie ihn mit ihren Patienten bespricht. Neben der Therapie in der Praxis gehören auch Ausflüge auf hohe Gebäude wie Aussichtswarten sowie eine Virtual-Reality-Brille dazu, die eine Brücke zur Realität schlägt. Patienten werden so mit angstauslösenden Situationen konfrontiert. Dadurch lernen sie nicht nur, mit ihnen umzugehen, sondern sammeln auch erste Erfolgserlebnisse, die sie bestärken. "Sie bleiben in der Situation, anstatt sie zu vermeiden, und verfallen in kein gewohntes Sicherheitsverhalten, dass man sich zum Beispiel am Geländer festhält", sagt Chamarina.
Konfrontationstherapie lindert Höhenangst
Während Michael die Wendeltreppe der Warte hinaufgeht, legt er immer wieder Pausen ein, in denen er tief durchatmet und seine Muskeln lockert. "Die Pausen empfinden viele Höhenangstler als sehr befreiend", sagt Maria Chamarina, die betont, dass ihre Patientinnen und Patienten zwar ge-, aber keinesfalls überfordert werden sollen. Erfolgversprechend ist die Therapie oft dann, wenn man sich auf die angstauslösende Situation einlässt. Diese Methode, auch als Konfrontations- oder Expositionstherapie bezeichnet, sei sehr effektiv, um Phobien zu überwinden. Atemübungen und Entspannungstechniken sind dabei ein Teil der Übungen. Zusätzlich sollen sich die Höhenangstler vor dem Aufstieg vergewissern, dass die Gebäude sicher sind und auch die Stiegen keine Gefahr darstellen; ob dort etwa Geländer oder Gitter vorhanden sind, an denen sie sich festhalten können. "Medikamente sind zwar im Falle von stark ausgeprägten Angststörungen hilfreich, bieten jedoch keine dauerhafte Lösung."