Videospiele sind heutzutage nicht mehr aus Wohn- und Kinderzimmern wegzudenken. Viele der beliebtesten Videospiele beinhalten explizit Darstellungen von (extremer) Gewalt. Im öffentlichen Diskurs werden deshalb immer wieder Sorgen laut, dass diese Spiele das Mitgefühl ihrer Spielerinnen und Spieler abstumpfen lassen - und damit die Hemmschwelle für echte Gewalt herabsetzen könnten. Neurowissenschafterinnen und Neurowissenschafter der Universität Wien und des Karolinska-Instituts in Stockholm haben nun untersucht, ob das Spielen von gewaltverherrlichenden Videospielen tatsächlich zu einer Reduktion der menschlichen Empathie führt.
Schmerzfreier durch Gewalt in Videospielen?
Konkret nahm das Forschungsteam rund um die Wiener Neurowissenschafter Claus Lamm, Lukas Lengersdorff und ihre schwedischen Kolleginnen und Kollegen das Verhalten von insgesamt 89 volljährigen männlichen Versuchspersonen unter die Lupe. Ein zentrales Auswahlkriterium war, dass die Personen vorher keinen oder nur geringen Kontakt mit gewaltverherrlichenden Videospielen gehabt hatten. So sollte sichergestellt werden, dass die Ergebnisse nicht durch unterschiedliche Erfahrungen mit Gewalt in Videospielen beeinflusst werden.
In einer ersten experimentellen Untersuchung wurde das "Basisniveau" der Empathie der Versuchspersonen erhoben. Dabei wurde mittels Gehirnscans erfasst, wie die Versuchspersonen darauf reagieren, wenn einer zweiten Person schmerzhafte Elektroschocks verabreicht werden. Im Anschluss startete die Videospielphase mit sieben zeitversetzten Einheiten im Forschungslabor. Die Teilnehmer der Experimentalgruppe spielten dabei eine höchst gewalttätige Version des Spiels "Grand Theft Auto V", mit der Aufgabe, so viele andere Spielfiguren wie möglich zu töten.
In der Kontrollgruppe wiederum war jede Gewalt aus dem Spiel entfernt worden - die Teilnehmer sollten dabei lediglich Fotos von anderen Spielfiguren machen. Nach dem Ablauf der Videospielphase wurden die Probanden ein zweites Mal untersucht, um festzustellen, ob sich ihre empathischen Reaktionen verändert hatten.
Studienergebnis: Gewalt in Videospielen hat keinen Effekt auf Empathie
Die Analyse der Daten zeigte, dass die Gewalt in den Videospielen keinen erkennbaren Effekt auf die empathischen Fähigkeiten der Versuchspersonen hatte. Die Reaktionen der Teilnehmer der Experimentalgruppe, welche mit extremen Gewaltdarstellungen konfrontiert waren, unterschieden sich statistisch nicht von jenen, die nur Fotos machen mussten. Zudem kristallisierte sich heraus, dass es keine nennenswerten Unterschiede in der Aktivität der Gehirnregionen des Cortex gegeben hat, die in Zusammenhang mit Empathie stehen.
Es stellt sich nun die Frage: Sind die Sorgen über Gewalt in Videospielen unbegründet?
Die Studienautorinnen und -autoren raten hier von vorschnellen Schlüssen ab. "Gerade weil es um so ein heikles Thema geht, müssen wir bei der Interpretation dieser Ergebnisse sehr vorsichtig sein", erklärt Lengersdorff, der die Studie im Rahmen seines Doktoratsstudiums durchgeführt hat. "Die Schlussfolgerung kann auf keinen Fall sein, dass gewalttätige Videospiele jetzt endgültig als unschädlich bewiesen sind. Für solche Aussagen fehlen in unserer Studie die Daten."
Ein nüchterner Blick ist gefragt
Laut dem Neurowissenschafter liegt der Wert der Studie vielmehr darin, dass sie einen nüchternen Blick auf frühere Ergebnisse erlaubt. "Ein paar Stunden Videospielgewalt haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Empathie von psychisch gesunden, erwachsenen Versuchspersonen. Diesen Schluss können wir eindeutig ziehen", sagt Lengersdorff. Und weiter: "Damit widersprechen unsere Ergebnisse jenen früherer Studien, in welchen negative Effekte schon nach einigen Minuten Spielzeit berichtet wurden." Dieser Unterschied liege höchstwahrscheinlich daran, dass in den meisten früheren Studien das Spielen des gewalttätigen Videospiels unmittelbar vor der Datenerhebung stattfand. "Mit solchen Versuchsanordnungen lassen sich allerdings die kurzfristigen Effekte von Videospielen nicht von den langfristigen unterscheiden", so der Wissenschafter.
Laut Co-Autor Lamm legt die Studie damit auch einen neuen Standard für die zukünftige Forschung in diesem Gebiet fest: "Für eindeutige Aussagen über die Effekte von gewalttätigen Videospielen braucht es starke experimentelle Kontrolle sowie Längsschnitt-Forschungsdesigns, die kausale Schlussfolgerungen erlauben. Mit unserer Studie wollten wir einen Schritt in diese Richtung machen."
Sind auch Kinder und Jugendliche immun gegenüber Gewalt in Videospielen?
Nun sei es die Aufgabe weiterer Forschung, zu überprüfen, ob sich auch nach deutlich längerem Kontakt mit Gewalt in Videospielen keine negativen Folgen zeigen - und ob dies auch bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen der Fall ist. "Die wichtigste Frage ist natürlich: Sind auch Kinder und Jugendliche immun gegenüber Gewalt in Videospielen?", meint Lamm. "Das junge Gehirn ist hochplastisch, wiederholter Kontakt mit Gewaltdarstellungen könnte daher einen viel größeren Effekt haben. Aber natürlich lassen sich diese Fragen nur schwer experimentell untersuchen, ohne an die Grenzen der wissenschaftlichen Ethik zu stoßen."
