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Hand anlegen für die Heilung

Massagen lockern nicht nur die Muskulatur und lindern Schmerzen im Bewegungsapparat, sondern stärken auch Immunsystem und Psyche.

Mit dem Handauflegen und Massieren können Heilungsprozesse im Körper beschleunigt werden.
Mit dem Handauflegen und Massieren können Heilungsprozesse im Körper beschleunigt werden.

Der Ursprung der Massage liegt in einer urmenschlichen Reaktion begründet. "Wie jeder Mensch instinktiv eine geschwollene und deshalb schmerzende oder gestoßene Stelle seines Körpers reibt oder drückt und so versucht, den durch die Spannung verursachten Schmerz zu mindern", heißt es folgerichtig in einem bald hundert Jahre alten Handbuch der Massage und Heilgymnastik, "so wird dieses instinktive Mittel wohl auch als Heilmittel zu allen Zeiten angewandt worden sein." Medizinhistoriker grenzen Zeit und Ort des Anfangs von Heilmassagen mit ersten Erwähnungen dieser Methode rund um das Jahr 2600 v. Chr. in Ägypten, Persien und vor allem China ein. Bevor der "bombastische" Salzburger Medizin-Tausendsassa Paracelsus auch für diese Heilverfahren im späten Mittelalter eine frühe Renaissance einläutete, brachte der Grieche Hippokrates das Wissen um Anwendung und Nutzen von Massagen nach Europa. Jener Hippokrates und "Vater der modernen Medizin", auf den Ärztinnen und Ärzte ihren Eid schwören, "zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil".

Fokus auf die Berührung

Mit der "nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung" von körperlichen Berührungen bei ärztlicher Diagnose und Therapie startet Anton Wicker, der Pionier und Doyen für Physikalische Medizin und Rehabilitation in Salzburg, seine Antworten im SN-Interview über Nutzen und Vielfalt von Massagen. In Zeiten, in denen das Technische in der Medizin in den Vordergrund dränge, plädiert Wicker für medizinische Handarbeit: "Entscheidend ist das Menschliche, der Körperkontakt. Das grundsätzlich Gute bei Massagen ist, dass mit diesem Handanlegen Heilungsvorgänge insgesamt verbessert werden." Früher habe man geglaubt, dass Massagen lediglich die Muskulatur, Sehnen und Bänder lockerten und Beschwerden im Bewegungsapparat linderten, sagt Wicker: "Heute weiß man, dass klassische Massagen auch auf Bindegewebe und Faszien wirken. Beides sind wichtige Teile des Immunsystems. Eine richtig durchgeführte Massage betrifft somit den gesamten Organismus, wirkt sich auch positiv auf die Psyche aus und behandelt letztendlich immer den ganzen Menschen."

Neben seiner praktischen und wissenschaftlichen Arbeit an der Universitätsklinik Salzburg, dem Institut für Bewegungswissenschaften und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität war Primar Wicker jahrzehntelang Mannschaftsarzt des Österreichischen Skiverbands, und als Olympia- und WM-Arzt bei sportlichen Großereignissen dabei. Heute ist er vor allem noch im Medizinischen Zentrum Bad Vigaun im Einsatz.

Wellness oder Heilung

Gefragt nach der passenden Massage für das jeweilige Problem, verweist Wicker auf die grundlegende Unterscheidung zwischen Entspannungsmassagen mit vorwiegend präventivem Ansatz und klassischen Heilmassagen zur Bekämpfung medizinischer Ursachen. Ersteres wird von Wellness-Einrichtungen angeboten, für Letzteres sind Heilmasseure in Kliniken, medizinischen Zentren und Rehaeinrichtungen die richtige Adresse. Darüber hinaus gibt es noch die Sportmasseure. Die verschiedene Grifftechniken entscheiden, ob Massagen aktivierend oder entspannend sind: "Reibungen und Streichungen sind beruhigende, entspannende, schmerzlindernde Techniken, während Knetungen und Walkungen aktivierende Anwendungen sind, um den Körper wieder auf eine Leistung vorzubereiten." Angesprochen auf fernöstliche Massagemethoden, betont Wicker: "So wie Kneipp mehr als nur Kaltwassergüsse ist, ist auch Ayurveda mehr als nur Massage und geht mit vielen anderen Lebensbereichen wie zum Beispiel Ernährung und Lebensordnung einher." Als eine Spezialmassage, mit der man im Medizinischen Zentrum Bad Vigaun sehr positive Erfahrungen mache, nennt Wicker die Lymphdrainage.

Bei einer Lymphdrainage wird der Lymphfluss im Körper angeregt, so beispielsweise nach Verletzungen oder Operationen.
Bei einer Lymphdrainage wird der Lymphfluss im Körper angeregt, so beispielsweise nach Verletzungen oder Operationen.

Diese helfe, Schwellungszustände abzubauen, indem durch richtige Massagetechniken die Peristaltik der Lymphgefäße gefördert und der Lymphrückfluss verbessert wird. "Nach Krebserkrankungen, aber auch nach Knie-, Hüftoperationen oder anderen Verletzungen bringt eine Lymphdrainage viel und tut den Patienten sehr gut", sagt Wicker, fügt aber einschränkend hinzu: Für eine gute Lymphdrainage brauche es Therapeuten, die das könnten, sie dauere mindestens eine Dreiviertelstunde, sei teuer und werde nicht immer bzw. nur teilweise von der Krankenkasse bezahlt.

Kontraindikationen

Bleibt nach all den positiven Effekten von Massagen die Frage, bei welchen Erkrankungen es besser ist, diese Behandlung zu meiden. Bei akuten Infektionen und Fieber können Massagen schädlich sein, sagt Wicker. Absolute Kontraindikation, warnt er, sind akute Infektionen mit Fieber, Infektionen der Haut, der Extremitäten oder akute Thrombosen - "da können Massagen sehr gesundheitsschädigend sein". Bei herzkranken Menschen könne eine Lymphdrainage zu einem Lungenödem führen. Aufgrund des hohen Standards bei den Massageausbildungen in den zertifizierten Instituten, Kliniken und Rehazentren ortet Wicker eine große Sensibilität gegenüber diesen Kontraindikationen bei den Therapeutinnen und Therapeuten, "das Risiko, dass was danebengeht, ist absolut gering"

"Entscheidend ist das Menschliche, der Körperkontakt."
Anton Wicker
Facharzt für Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation

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Sowohl in Wickers Kollegenkreis als auch unter seinen Patienten ist dessen Motto "Immer in Bewegung bleiben, auch wenn es wehtut" bekannt. Auch im SN-Gespräch betont er: "Massage und Bewegungstherapie gehören in der Medizin zusammen." An diese Kombination schließt Wicker die Forderung: "Es gibt Patienten, die nur massiert werden wollen, aber selbst nichts tun - das ist nicht genug. Massagen sind zur Begleitung und Unterstützung der Heilungsvorgänge von großem Wert. Doch der Patient muss selber mitarbeiten!" Davon waren schon Hippokrates und Paracelsus überzeugt und verschrieben neben Massagen und anderem das "Gehen als des Menschen beste Medizin".