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Alles anders mit der Lehre

Welche Herausforderungen warten auf junge Menschen? Und wie müssen sich Lehrbetriebe heute auf deren Bedürfnisse einstellen?

Antje Mackner und Susanne Vietz haben eine Vision, wie die ideale Lehrlingsausbildung aussehen soll.
Antje Mackner und Susanne Vietz haben eine Vision, wie die ideale Lehrlingsausbildung aussehen soll.

Antje Mackner und Susanne Vietz helfen mit der Vision of Work GmbH Unternehmen auf die Sprünge, wenn es darum geht, was Lehrlinge heute brauchen - und was sie dazu bringt, gerne im Betrieb zu bleiben.

40 Prozent der Lehrlinge würden die Ausbildung in ihrem Lehrbetrieb nicht weiterempfehlen. Was kann alles schieflaufen in der Lehrlingsausbildung? Antje Mackner: Ein grober Fehler ist, dass viele Unternehmen den Lehrling als günstige Arbeitskraft betrachten. Dabei ist er ein junger Mensch, der mitten in seiner Entwicklung steckt, der etwas lernen will, der Bedürfnisse hat, um den sich das Unternehmen kümmern muss.
Susanne Vietz: Viele Unternehmen beschäftigen sich erst dann damit, wie sie einen Lehrling halten können, wenn klar wird, dass dieser den Betrieb verlassen will. Wenn Wertschätzung nicht permanent Teil der Lehrlingsausbildung ist, ist es aber egal, was man sich dann überlegt. Der Lehrling ist weg.

Wie wird ein Ausbilder seiner Rolle gerecht? Vietz: Ein guter Lehrbetrieb ist einer, der sich bewusst ist, welchen Stellenwert Lehrlinge haben, und auch, dass die Rolle des Ausbilders eine komplexe ist: Man sollte fachlich gut sein, sich psychologisch und pädagogisch auskennen. Vielen Ausbildern ist nicht klar, dass sie Führungskräfte sind und damit eine entsprechende Verantwortung haben.
Mackner: Oft kommen Ausbilder auch ungefragt in ihre Rolle, wollen diese gar nicht übernehmen. In einigen Betrieben hat der Lehrling nicht einmal eine definierte Ansprechperson. Das ist aber Teil dessen, was es braucht, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein: Lehrlinge brauchen eine Perspektive, sie müssen wissen, da hat sich jemand Gedanken gemacht, da gibt es Sicherheit, Struktur, ich kann mich im Unternehmen weiterentwickeln. In welche Richtung auch immer - das muss nicht hierarchisch sein.

Welchen Herausforderungen müssen sich Unternehmen heute stellen, wenn es um die Mitarbeiterbindung geht? Mackner: Bisher war es so, dass ich als Otto-Normal-Mensch froh war, dass ich einen Job habe. Jetzt dreht sich das um. Das ist der Schalter, der bei den Betrieben fallen muss: Ihr bewerbt euch jetzt bei den Leuten, nicht mehr umgekehrt.

Wie unterstützen Sie Unternehmen dabei, sich darauf einzustellen? Mackner: Aus irgendeinem Grund vernachlässigen Betriebe die Markenarbeit, wenn es um die Personalsuche geht - bei einem Produkt würde das nie jemand machen. Ich kann ein Produkt - und in dem Fall ist es der Betrieb als Arbeitgeber - nur verkaufen, wenn ich weiß, wer meine Zielgruppe ist, was mich ausmacht. Wir unterstützen Unternehmen dabei, das zu erarbeiten.
Vietz: Wir sind der festen Überzeugung, dass jedes Unternehmen irgendwas hat, das es einzigartig macht. Und das gilt es nach außen zu tragen. Wenn das Unternehmen weiß, welche Werte es hat und wofür es steht, dann zieht es die richtigen Leute an. Gerade Lehrlinge wollen, dass Unternehmen authentisch sind, und nicht, dass ihnen etwas versprochen wird, das dann nicht so ist, wenn sie dort arbeiten.
Mackner: Employer Branding ist nichts, was funktioniert, wenn ich nur so tue als ob. Das muss authentisch sein und aus dem Unternehmen heraus kommen.
Vietz: Daraus entwickelt haben wir für kleine und mittelständische Unternehmen die vowAcademy, eine Onlineplattform, wo wir die Betriebe anleiten, sich selbst als Arbeitgeber zu positionieren. Das Schöne an der vowAcademy ist, dass die ganze Arbeitgebermarke aus dem Unternehmen heraus entwickelt wird.

"Junge Leute wollen etwas Sinnvolles tun"
Antje Mackner
Unternehmensberaterin

Wie spreche ich als Arbeitgeber junge Menschen am besten an? Mackner: Alle haben Angst vor den Generationen Z und Alpha. In Konzernen sprießen eigene Abteilungen für Generationenmanagement aus dem Boden. Dabei ist es einfach: Junge Menschen wollen keine stupiden Tätigkeiten ausführen, sondern etwas Sinnvolles tun. Man kann nicht mehr Leute holen und sagen, du machst diese zehn Zentimeter Arbeit, die nächsten zehn macht jemand anderes. Man muss ihnen vermitteln, dass sie Teil eines großen Ganzen sind.
Vietz: Ich verstehe nicht, warum die obersten Ebenen darüber diskutieren, was junge Menschen gerne an Benefits hätten, ohne jemals auf die Idee zu kommen, einfach nachzufragen. Kommunikation ist in 90 Prozent der Fälle der Schlüssel.

Welche Herausforderungen müssen junge Menschen beim Eintritt in den Lebensabschnitt Lehre meistern? Vietz: Viele. Man kommt aus einem Schulsystem heraus, das ganz anders ist als die Arbeitswelt. Plötzlich sind die Tage viel länger, die Berufsschule kommt als Doppelbelastung dazu und man gilt für viele Arbeitskolleginnen und -kollegen als erwachsen, was man mit 15, 16, 17 nicht ansatzweise ist. Es passiert generell sehr viel in dieser Zeit. Und dann tut sich auch noch entwicklungspsychologisch gesehen in unserem Gehirn einiges: Es entwickelt sich die Emotionsregelung, man nabelt sich von zu Hause ab, muss sich selbst organisieren, lernen, Fehler zuzugeben, wenn sie passieren, weil diese vielleicht auch Auswirkungen haben können. Ausbilder müssen sich dessen bewusst sein und können dem mit viel Geduld begegnen.

Die Trendstudie "Jugend in Österreich" zeigt: Jugendliche wünschen sich mehr Unterstützung, u. a. bei mentalen Herausforderungen. Vietz: Gerade in der Zeit vor der Lehrabschlussprüfung oder gegen Ende des ersten Lehrjahrs, wenn viele ein Tief haben, weil die Ausbildung gefühlt noch so lange dauert, begleiten wir Lehrlinge in Unternehmen mit Einzelcoachings. Wir bieten auch Workshops an, weil das Thema Peergroups in dem Alter ein wichtiges ist und sich die jungen Menschen untereinander austauschen wollen.
Mackner: Wenn man als Betrieb in dieser sehr schwierigen Zeit Begleitung in Form von psychologischen Coachings zur Verfügung stellt, ist das natürlich Mitarbeiterbindung par excellence.

Was hat ein Unternehmen davon, wenn es sich auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter einstellt? Mackner: Die Babyboomer sagen heute noch: Meine Leute sollen froh sein, dass sie einen Job bei mir haben. Wenn ich aber verstanden habe, dass sich die Zeiten geändert haben, dass ich nicht mehr so weitertun kann, wie es die letzten 50 Jahre vielleicht funktioniert hat, kann ich etwas ändern. Dann brauchen Unternehmer keine Angst mehr haben, dass wenn in der Früh das Handy klingelt, wieder jemand im Krankenstand ist, wieder jemand kündigt, wieder jemand wegfällt, und können sich dem Unternehmen an sich widmen.

Wie sieht die ideale Lehrlingsausbildung aus? Vietz: Der Idealfall wäre, dass man sich, bevor die Lehrlinge überhaupt kommen, einen Prozess überlegt, wie das alles ablaufen soll: Wie wird Wissen weitergegeben? Wer ist wofür verantwortlich? Mit Erschrecken stellen wir fest, dass manche Lehrbetriebe nicht einmal das Bundesgesetzblatt kennen, wo steht, was ein Lehrling können muss.
Mackner: Eine gute Lehrausbildung kann nur gelingen, wenn der Betrieb versteht, dass er einen Lehrauftrag hat. Früher war es mitunter so, dass in einer Kfz-Werkstatt Lehrlinge zwei Jahre nur Reifen gewechselt und nichts gelernt haben, beim Friseur haben sie zwei Jahre zusammengekehrt und Haare gewaschen. Wer noch so arbeitet, braucht sich nicht wundern, wenn er übermorgen gar keine Lehrlinge mehr findet. Junge Leute sind heute gut vernetzt, tauschen sich aus, stellen sich auf die Füße, wenn es sein muss.

Mehr Infos: www.vow-academy.com