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Dynamik: Macht und Gruppe

Die moderne Arbeitswelt erfordert neue Formen der Zusammenarbeit. Welche Herausforderungen warten dabei?

Machtverhältnisse in einer Gruppe können sich innerhalb kürzester Zeit verändern.
Machtverhältnisse in einer Gruppe können sich innerhalb kürzester Zeit verändern.

Die Gruppe ist der älteste und erfolgreichste Arbeitsraum. Fast alle komplexen Themen sind in einer Gruppe besser lösbar", sagt Claus Faber. Mittel, um ihre Ziele zu erreichen, haben Organisationen ganz unterschiedliche, wie der Trainer und Organisationsentwickler erläutert: Das älteste und bekannteste ist die klassische Hierarchie. "Sie hat etwas Absolutes. Dem Chef zu sagen, dass ich etwas nicht gut finde, was er macht, ist gefahrvoll. Es kann den Job kosten", führt Faber aus.

Seminar "Macht & Gruppe" untersucht Gruppendynamiken

Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen von der Österreichischen Vereinigung für Supervision und Coaching (ÖVS) hat sich Faber unlängst intensiv im Seminar "Macht & Gruppe" damit auseinandergesetzt, welche Dynamiken in Gruppen wirken. Denn um verantwortungsvoll beraten und begleiten zu können, braucht es auch für die Experten Reflexion, speziell wenn es um ambivalente Themen geht, die sich nicht auf haltbare Fakten stützen, sondern auf verschiedene Einsichten in den Sozialwissenschaften. "Gruppendynamische Settings sind experimentelle Settings, da zeigt sich, wie ich ticke, wie andere ticken und wie ich damit umgehe, wie andere ticken", erläutert die Vorsitzende der ÖVS, Patrizia Tonin: "Von diesem Raum, in dem wir uns ausprobieren und über uns selbst nachdenken konnten, profitieren wir sehr." "Echte Aha-Momente" gab es etwa für Teilnehmerin Tanja Peherstorfer, die als Businesscoach tätig ist: "Es war unglaublich spannend wahrzunehmen, wie schnell sich Machtverhältnisse in einer Gruppe innerhalb kürzester Zeit verändern können. Oft reicht nur eine Frage, um Positionen zu verändern."

Wie äußert sich Macht in einer Gruppe?

In einem Team gut zusammenzuarbeiten, etwas umzusetzen, Ideen gerne mitzutragen - das ist die angenehme Seite der Macht.

"Wer Zwang oder Herrschaft zum Durchsetzen braucht, ist nicht mächtig."
Patrizia Tonin
Organisationsberaterin

"Das Image, dass Macht etwas Böses ist, kommt stark aus der Ecke, dass wir Macht immer dann bemerken, wenn sie wehtut, weil jemand etwas anderes will als ich. Wenn uns etwas beflügelt, sehen wir Macht nicht", erläutert Faber.

"Macht hat eine enorme gestalterische Kraft", ergänzt die ÖVS-Vorsitzende. "Legitimiert ist sie dann, wenn man dem Chef nicht aufgrund seiner Funktion folgt, sondern weil er die Interessen der Gruppe vertritt, weil er begeistert und das Team darauf vertraut, dass es Sinn macht, wo er hinwill. Wer Zwang oder Herrschaft braucht, um sich durchzusetzen, ist nicht mächtig."

Strukturierung von Teams: Agilität statt Hierarchie

Bei Rettungseinsätzen oder in Organisationen, wo es schnelle Entscheidungen braucht, sei Hierarchie durchaus von Vorteil. Dort, wo die Umwelt komplex ist, sich schnell verändert, unabwägbar ist, ist diese Form der Herrschaft allerdings nicht mehr das beste Mittel. Heute hält immer mehr das Schlagwort Agilität Einzug, wenn es um die Strukturierung von Teams und Arbeitsabläufe geht. Zunehmend werden flache Hierarchien, flexiblere Arbeitszeitmodelle und eine moderne Unternehmenskultur gefordert. Das setze freilich die Bereitschaft zur Reflexion voraus: "In dem Aspekt kennt sich der eine aus, der andere hört ihm zu und umgekehrt. Gemeinsam gilt es zu überlegen, wie Dinge umgesetzt werden", so Faber.

Im besten Falle sind agile Teams produktiver, innovativer und haben mehr Selbstwirksamkeit, weil jeder Einzelne weiß, was er zum großen Ganzen beigetragen hat. Im schlechtesten nimmt die Koordination überhand, interne Konflikte, für die zu wenig Raum einkalkuliert ist, eskalieren, ganze Teams können aufgrund von Überarbeitung ins Burn-out geraten.

Welche Herausforderungen warten auf dem Weg zu mehr Agilität konkret?

Tonin: "Häufig scheitert es daran, dass man Macht von oben nicht abgeben will. Oder aber an praktischen Fragen: Wie funktioniert die Koordination zwischen einzelnen Bereichen, wie ist die Bezahlung geregelt, wie die Qualitätssicherung?" Faber ergänzt: "Organisationen haben eine Geschichte. Wie man im Zoo nicht einfach ein Tier neben ein anderes setzen kann - das eine frisst das andere vielleicht -, braucht es bei der Umstrukturierung einer Organisation einen Plan. Eine Transformation ist ein kooperativer Prozess, der alle betrifft. Dazu muss man die Leute ins Boot holen, das Mindset dahingehend ändern, dass alle bereit sind, miteinander Lösungen zu finden, immer wieder neu dazuzulernen."

Die meisten Organisationen können heute nicht mehr auf agile Strukturen verzichten, so das Fazit der Experten. Eine grundlegende Restrukturierung von Unternehmen ist auf mehreren Ebenen für die Wettbewerbsfähigkeit notwendig. "Aber es ist auch eine Typfrage", gibt Tonin zu bedenken. "Nicht jeder ist bereit, die Verantwortung zu übernehmen, die mit Agilität einhergeht. Und nicht für jeden Bereich einer Organisation ist der agile Ansatz geeignet."

BUCHTIPP: Untertan von Solmaz Khorsand

Ausbruch aus der Konformitätsmaschinerie

Untertan: Von braven und rebellischen Lemmingen. Solmaz Khorsand. Leykam-Verlag, 160 Seiten, 22,50 Euro.
Untertan: Von braven und rebellischen Lemmingen. Solmaz Khorsand. Leykam-Verlag, 160 Seiten, 22,50 Euro.

Es gibt sie an jeder Ecke: stumpfsinnige Befehlsempfängerinnen und -empfänger. Wir alle gehören dazu. Diese unangenehme These stellt die Autorin und Journalistin Solmaz Khorsand in ihrem jüngsten Buch "Untertan - Von braven und rebellischen Lemmingen" auf, in dem sie sich mit Gruppendynamiken und Mitläufertum auseinandersetzt. Khorsand verbindet darin historische Geschehnisse, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse und philosophische Überlegungen und hat mit Künstlerinnen im Exil oder Fetischisten gesprochen, warum sie aufbegehren oder aber sich unterwerfen. Ein eigenes Kapitel widmet sie der Arbeitswelt. Denn Organisationen sind laut der Soziologin Judith Muster die mächtigste Konformitätsmaschine, die unsere Gesellschaft kennt. "Wer ihre Schwelle überschreitet, wird automatisch zum Lemming. Egal, was er tut. Egal, wie er tickt. Ob die Partei, die NGO, das Start-up, der Autokonzern oder das kleine feministische Theater um die Ecke. Sie alle biegen ihre Mitarbeiterinnen zurecht", schreibt Khorsand. Es sei vor allem die Angst vor dem Ausschluss aus der Gruppe, die zum Mitläufer macht. "Wer den Job verliert, verliert sich. Verliert alles." Daher werde keine Unterwerfungsgeste ausgelassen, um das eigene Überleben zu sichern: "Es ist beängstigend, wie klein der Mensch werden kann im Angesicht eines Lohnzettels, einer Position, einer Karriere, einer potenziellen Beförderung und einer noch potenzielleren Kündigung."

Die Autorin schaut in "Untertan" ohne Scheu dorthin, wo es wehtut, und hält den Leserinnen und Lesern den Spiegel vor - sie bietet aber auch ein Exit-Szenario, das dabei helfen kann, aus dem Lemmingdasein auszubrechen und der eigenen Verantwortung der Gesellschaft gegenüber nachzukommen.