Ein Raum voller Menschen, die sonst Zahlen bewegen, Strategien entwerfen und Entscheidungen treffen. Plötzlich halten sie Noten, Trompeten oder Geigen in den Händen und warten auf ihren ersten Einsatz. Sie sind Führungskräfte, Unternehmerinnen, Projektleiter - Menschen also, die in ihrem Beruf Verantwortung tragen und für ein paar Tage aus ihren gewohnten Rollen heraustreten wollen.
Das steht hinter dem Konzept des International Manager Orchestra (IMO), das im Frühjahr 2026 erstmals in Salzburg stattfinden soll. Initiator Antonello Cagiano möchte erproben, ob sich durch das gemeinsame Musizieren Führungs- und Teamdynamiken neu erfahrbar machen lassen.
Wenn Harmonie bricht
Den Ausgangspunkt lieferten Erfahrungen, die Cagiano als Pianist und Chorleiter immer wieder machte: Hinter dem scheinbar perfekten Klang eines Orchesters verbergen sich oft Machtspiele und unausgesprochene Konflikte. Dabei können schon kleine Spannungen den gesamten Klang gefährden. Ein Beispiel: Wenn die Konzertmeisterin und ihr Pultnachbar unterschiedliche Vorstellungen vom Tempo haben, genügt ein winziges Zögern oder ein Blick, um die ganze Gruppe zu irritieren. Da die Musiker oft sehr eng beisammensitzen, kann eine angespannte Stimmung sogar körperlich werden. Schnell passiert es, dass ein Geigenbogen das Gesicht des Nachbarn streift. "Dann braucht es eine Führungspersönlichkeit in der Stimmgruppe, jemanden, der vermittelt, Spannungen auflöst und in der Gruppe wieder Vertrauen schafft. Das ist pures Leadership", sagt Cagiano. Beobachtungen wie diese ließen den Italiener nicht mehr los. Später vertiefte er sie in seiner Masterarbeit an der Universität Salzburg.
Ein Orchester ähnelt einem Unternehmen, beschreibt der 59-Jährige: "Es gibt verschiedene Bereiche mit hoch spezialisierten Kräften. Die einen übernehmen den Rhythmus, andere die Melodie, wieder andere füllen den Klangraum. Jeder beherrscht sein Instrument, doch erst im Zusammenspiel entsteht Musik. So ist es auch im Unternehmen, wenn die Finanzabteilung, die IT und das Marketing nur gemeinsam eine funktionierende Gesamtstrategie ergeben."
Führung spielt dabei eine Schlüsselrolle. "Der Dirigent ist kein Diktator, sondern Taktgeber", so Cagiano. "Er gibt Orientierung, setzt klare Impulse, schafft Raum für Eigeninitiative und sorgt dafür, dass sich viele individuelle Stärken zu einem Ganzen zusammenfügen. In Unternehmen ist es genauso - ohne Akzeptanz und Vertrauen scheitert jede Führung."
Wer in einem Orchester spielt, spürt sofort, was gute oder schlechte Führung bedeutet: Ein unsicherer Einsatz, eine unklare Geste - und schon bricht der gemeinsame Rhythmus zusammen. Ein präzises Signal hingegen bringt sofort Ordnung und Sicherheit. Gleichzeitig wird erlebbar, wie stark Emotionen die Zusammenarbeit prägen: Musik macht Gefühle hörbar und zwingt dazu, sie wahrzunehmen, zu deuten und damit umzugehen - eine Fähigkeit, die Führungskräfte im Alltag oft brauchen, aber selten so direkt erfahren. Das International Manager Orchestra nutzt genau diesen Effekt. Zuerst wird Führung ungeschminkt erlebbar. Danach folgt die Analyse: Was schafft Orientierung? Wo kippt die Harmonie? Welche Gesten oder Interventionen bauen Vertrauen auf? "Mir ist wichtig, dass diese Reflexion in einem geschützten Rahmen und auf Augenhöhe passiert", sagt Cagiano. "Nur so können die Teilnehmenden offen über Unsicherheiten sprechen und daraus konkrete Strategien für Teamführung, Change-Prozesse oder Meetings entwickeln."
Wer hinter dem Projekt steht
Cagiano selbst studierte Klavier am Konservatorium seiner Heimatstadt Foggia und zog später nach München, wo er mit dem Dirigenten Konrad von Abel zusammenarbeitete, seinerseits langjähriger Assistent von Sergiu Celibidache, der als Chef der Münchner Philharmoniker für seine intensive, philosophisch geprägte Probenarbeit bekannt war. "Diese Lehrer haben mir gezeigt, dass ein Orchester nur funktioniert, wenn jede Stimme gehört wird - für Unternehmen gilt das genauso", sagt Cagiano.
Mit von Abel verbindet ihn seit dieser Zeit eine enge Zusammenarbeit: Der Dirigent bringt nun seine jahrzehntelange Erfahrung in das International Manager Orchestra ein. Ergänzt wird das Team durch den Salzburger Wirtschafts- und Organisationspsychologen Dr. Rainer Buchner, der sich seit vielen Jahren mit Teamentwicklung und Veränderungsprozessen in Unternehmen beschäftigt und die künstlerische Erfahrung in konkrete Führungs- und Lernprozesse übersetzt.
Mitmachen können alle, die beruflich Verantwortung tragen - von C-Level-Executives und High Potentials über Führungskräfte bis hin zu Projektleitenden. Musikalische Vorkenntnisse sind hilfreich, aber keine Voraussetzung. Ein kurzer Online-Fragebogen erfasst Erfahrung und Lernziele, denn alle Teilnehmenden sollen im Orchester für sich eine passende Rolle finden. Für Geübte ist das vielleicht sogar der Stimmführer, zum Einstieg können es aber rhythmische oder erzählerische Parts sein.
"In meinem Orchester geht es nicht darum, dass jemand hervorsticht, weil er oder sie außerordentlich gut spielt. Vielmehr geht es um das Erleben von Zusammenarbeit", sagt Cagiano. Schon vor dem Termin erhalten Teilnehmende Notenmaterial und digitale Einführungen. In Salzburg folgen mehrere Probentage mit anschließenden Impulsen zu Körpersprache und Fehlerkultur. Den Abschluss bildet ein gemeinsames Konzert, nicht als Wettbewerb, sondern als hörbares Ergebnis gelungener Teamarbeit. Der erste Durchgang des International Manager Orchestra in Salzburg ist für das Frühjahr 2026 geplant.
Mehr Infos & Anmeldung: www.orchestraandleadership.com