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Jodeln lernen mit Anita Biebl: Wie die Stimme zum Instrument wird

Sie bringt jede und jeden zum Jodeln: Jodeln ist etwas, das alle können, ist die Musikerin Anita Biebl überzeugt. Erst recht, wenn sie denken, sie können nicht singen.

Anita Biebl: Ihre Jodelkurse buchen nicht nur Privatpersonen, sondern auch Führungskräfte, Pädagogen, Schulklassen, Musikergruppen oder andere Teams.
Anita Biebl: Ihre Jodelkurse buchen nicht nur Privatpersonen, sondern auch Führungskräfte, Pädagogen, Schulklassen, Musikergruppen oder andere Teams.

Die kleine Anita Biebl plagt beim Singen in der Volksschule ständig die Angst, sie könnte ihren Text vergessen. "Manche Kinder bekamen wirklich schlechtere Noten, nur weil sie die zweite Strophe nicht auswendig konnten. Ich fand das furchtbar ungerecht. Für mich hatte das nichts mit Musik zu tun." Schon damals fasziniert Biebl die Beziehung zwischen Musik und Sprache. Ihre Leidenschaft führt sie in die Berufsfachschule für Musik mit Schwerpunkt Klarinette, Chor- und Ensembleleitung im bayerischen Altötting. Danach zieht die Chiemgauerin nach Salzburg. Sie studiert am Mozarteum Elementare Musik- und Tanzpädagogik mit Schwerpunkt Stimme und fragt sich, wie sie ihre Stimme auch als Instrument verwenden kann. Neben dem Beatboxen beginnt sich Biebl mit dem Jodeln zu beschäftigen. "Jodeln ist für mich wie Singen, nur ohne Worte. Dazu muss ich Sprache loslassen. Gerade weil wir dabei die Sprache weglassen, geht das Jodeln viel tiefer. Musik ist dann nicht mehr nur im Kopf, sondern im ganzen Körper spürbar." 2006 schreibt sie zwei Bachelorarbeiten, eine zum Thema "Musik und Sprache - Gemeinsamkeiten und Unterschiede" und eine zu "Singen ohne Worte - Beatboxing, Vokalperkussion, Jodeln, Oberton-Gesang, experimenteller Gesang".

Musikerin gründet erfolgreiche Jodelschule

Seit 2016 arbeitet die 41-Jährige selbstständig als Musikerin, ihr Portfolio reicht von Soundpainting über Filmmusik bis zu Holzkonzerten. Doch als die Pandemie über die Welt hereinbricht und sie nur mehr eingeschränkt arbeiten kann, trifft sie eine Entscheidung: Zwischen den Lockdowns will sie die Zeit, die sie hat, so gut es geht nutzen und sich nur mehr aufs Jodeln fokussieren. Sie entwickelt eine pädagogische Methode, um das Jodeln anderen beizubringen, und gründet ihre eigene Jodelschule.

Jodelkurse begeistern und verbinden Menschen

Heute fährt sie mit ihren Jodelschülerinnen und -schülern zum Beispiel in Bad Ischl auf die Katrin hinauf oder aufs Rauchhaus in der Nähe vom Fuschlsee, um ihnen am Berg das Jodeln beizubringen. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch Führungskräfte, Pädagogen, Schulklassen, Musikergruppen oder andere Teams buchen ihre Kurse. Die Nachfrage ist mittlerweile so groß, dass Biebl ihr eigenes Team und damit ihr Angebot erweitert hat. Wer jodeln will, braucht aber weder Dirndl, Lederhosen noch einschlägige Vorkenntnisse. Denn Biebl ist überzeugt: Wir alle können jodeln. Jodeln ist für sie mit weit weniger Erwartungshaltung verbunden als das Singen: "Beim Singen geht es schnell in die Bewertung. Fast jeder hat irgendeine Erinnerung an die Schulzeit, in der uns jemand sagt, wir könnten nicht singen." Und gerade diejenigen, die glauben, sie könnten sowieso nicht singen, kommen besonders gerne in ihre Kurse: "Sie finden das Jodeln witzig und sind dem gegenüber offener."

Zum Jodel-Kursbeginn: Atemübungen und locker werden

Biebl startet ihre Kurse meist mit Atemübungen und übt, das Zwerchfell zu aktivieren. Dann testet sie die Reaktionen der Gruppe spielerisch. Damit weiß sie schnell, wie weit sie gehen kann, lockt die Teilnehmenden bewusst aus ihrer Komfortzone. Jeder darf und soll gleich einmal scheitern. "Wenn gelacht wird, dann schaltet sich der Kopf aus. Alle werden automatisch locker und sind im Augenblick."

Dann folgt das Krafttraining mit der Stimme: Sie ruft urplötzlich und laut "Schaaa", dabei richtet sie ihren Ruf direkt an eine Person. Diese springt energisch nach vorn und antwortet mit einem tiefen, kraftvollen "Haaa" aus der Bruststimme. Eine weitere Person tritt hinzu und zischt "Fuuu". Biebl betont, dass der Körpereinsatz dabei eine zentrale Rolle spielt. Das Ziel beim Jodeln ist dann irgendwann der sogenannte Schnackler, also der Moment, bei dem der Laut von der Brust- zur Kopfstimme springt. Neben einem Erfolgserlebnis erhalten alle Jodlerinnen und Jodler am Ende von Biebl sogar ein Jodeldiplom.

Jodeln verbindet Kulturen weltweit

Jodeln sei viel mehr als nur Musik und Tradition: "Irgendwann ist es zur Tradition geworden, aber eigentlich ist es eine Kommunikationsform. Man ruft von einem Berg zum anderen und will damit eine Information weitergeben." Selbst wenn wir das Jodeln mit Bergen und dem Alpenraum verbinden, erfunden wurde es hier nicht.

"Der Mensch jodelt länger, als er schreiben kann."
Anita Biebl
Musikerin

Gejodelt wird auf der ganzen Welt, in Afrika, in Schweden und sogar in Thailand. Entstanden ist es, während wir unsere Sprache entwickelt haben. "Im Alpenraum ist das Jodeln so bekannt, weil es sich musikalisch am weitesten entwickelt hat. Der Mensch jodelt länger, als er schreiben kann. In Wahrheit ist ein Jodler die erste Kurznachricht, die wir verschickt haben, lange vor einem SMS."