Neben Matthias Reisinger und Nikolaus Griller komplettiert Fachdidaktikerin Heidrun Edlinger seit März den Vorstand der Stiftung für Wirtschaftsbildung. Gegründet wurde diese Stiftung, um das Thema Wirtschaftsbildung im heimischen Bildungssystem mehr in den Fokus zu rücken. Welche Ziele verfolgt Edlinger in ihrer neuen Position und in welcher Rolle sieht sie sich selbst in Bezug auf das österreichische Bildungssystem?
Wie ist es Ihrer Meinung nach aktuell um das österreichische Bildungssystem bestellt? Heidrun Edlinger: Aus meiner Sicht muss man ganz allgemein das Bildungssystem vor dem Kontext sehen, dass es immer eine Projektionsfläche gesamtgesellschaftlicher Veränderungen und damit verbundener Ansprüche ist. Der Diskurs darüber ist wichtig und bietet die Möglichkeit, auf aktuelle Herausforderungen wie das Leben in Kulturen und Digitalität oder auf ein Leben in multiplen Krisen zu reagieren und nachhaltige Alternativen im Bildungssystem zu etablieren. Kinder und Jugendliche brauchen gleichzeitig positive Zukunftsvisionen und müssen wissen, dass sie die Gesellschaft aktiv mitgestalten können. Umso wichtiger sind in diesen Zeiten mutige und reflektierte politische Entscheidungen.
An welchen Stellen hapert es konkret? Gerade im Kontext des aktuellen Lehrerinnen- und Lehrermangels braucht es aus meiner Sicht ein nachhaltiges Konzept und keine kurzfristige Versorgung von Engpässen. Für die Qualitätssicherung und Professionalisierung ist natürlich die Lehramtsausbildung insgesamt gefragt - diese ist gleichzeitig aber immer wieder mit Kürzungen unterschiedlicher Art konfrontiert. Ein weiteres Problem ist auch das fachfremde Unterrichten - das heißt, wenn Lehrpersonen, vor allem an Mittelschulen, andere Fächer unterrichten müssen, als sie studiert haben. Dies ist nicht neu, wird jedoch mit dem Personalmangel nochmals verschärft.
Wie lautet Ihr Lösungsvorschlag in diesem Fall? Professionelle fachdidaktische Unterstützung und Coaching brauchen vor allem auch Quereinsteigende sowie Nachwuchslehrpersonal. Wichtig sind für die Gestaltung von innovativen Lernsettings vor allem flexiblere Organisationsstrukturen und entsprechende räumliche Qualitäten in den Schulen. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer bekommen hier noch viel zu oft Steine in den Weg gelegt. Es bedeutet einen hohen Energieaufwand, in den bestehenden trägen und starren schulischen Strukturen mit den Schülerinnen und Schülern erfolgreiche Lernprozesse zu gestalten und sie in ihren unterschiedlichen Begabungen und Talenten spezifisch zu fördern und zu fordern. Mit der gleichzeitig immer stärker zunehmenden Ökonomisierung des Bildungsbereiches, wie beispielsweise durch Standardisierungsprozesse bei Testungen, ist dies kein einfaches Unterfangen.
Als neues Vorstandsmitglied der Stiftung für Wirtschaftsbildung: Wie sehen Sie Ihre Rolle in diesem Konstrukt des Bildungssystems? Ich werde meine jahrelange Expertise aus der Schulpraxis und dem wissenschaftlichen Background aus der Lehramtsausbildung Geografie und wirtschaftliche Bildung einbringen. Dies sind sehr wesentliche Komponenten, wenn die wirtschaftliche Bildung in den Schulen verstärkt werden soll - wie es auch eines der zentralen Ziele der sieben Stiftungsgründungsorganisationen ist. Als Interessenvertreter unterscheiden sich diese jedoch hinsichtlich der Perspektiven und der Wege zur Zielerreichung.
Der umfassende Blick auf das Thema Wirtschaftsbildung ist eine der großen Stärken der Stiftung, aber auch gleichzeitig eine Herausforderung. Meine Aufgabe sehe ich auch darin, bestehende Netzwerke zu nutzen und die Expertisen zu erweitern. Schließlich müssen Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch im wirtschaftlich bildenden Unterricht dementsprechend kontrovers dargestellt werden.
Welche Ziele verfolgen Sie in Ihrer neuen Position? Mit den Ressourcen der Stiftung können bewusst relevante Akzente gesetzt und zahlreiche wichtige Themen bearbeitet werden. Die Qualitätssicherung von Unterrichtsmaterialien, die Gestaltung innovativer Lernsettings oder die Professionalisierung von (fachfremden) Lehrerinnen und Lehrern sind nur einige von diesen zentralen Bereichen, wo ich nun in meiner Vorstandsfunktion die notwendige fachdidaktische Expertise einbringen kann.
Da Sie selbst Lehrerin sind: Welche Rolle kommt dem Lehrpersonal zu, wenn es um die Verbesserung des heimischen Bildungssystems geht? Ich bin Lehrerin an einem Wiener Gymnasium. Die Kombination mit der Senior-Lecturer-Stelle an der Universität Wien für die Lehramtsausbildung, also die Kombination Schulpraxis und Forschung, ist hier eine starke, wechselseitige Bereicherung. Lehrerinnen und Lehrer spielen eine ganz zentrale Rolle in der Gestaltung des Bildungssystems.
Letztlich sind es die Personen, die mit den Kindern und Jugendlichen tagtäglich arbeiten, die innovative Lernumgebungen gestalten, damit erfolgreiches und sinnstiftendes Lernen ermöglicht wird. Lehrpersonal muss dieser großen Verantwortung gerecht werden und braucht dafür entsprechende Professionalisierungsangebote in der Aus- und Weiterbildung. Wenn diese Qualitätssicherung gelingt - auch bei Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern sowie fachfremden Lehrpersonen -, ist viel geschafft. Es braucht jedoch viele weitere Unterstützungsangebote, damit an Schulen bedarfsorientierte Angebote geschaffen werden können.
Die Schulautonomie ist eines der Instrumente in diese Richtung. Damit diese aber auch gelebt werden kann, braucht es wiederum Inspirationen, Good-Practice-Beispiele müssen stärker vor den Vorhang geholt werden. Aktuell ist Schulautonomie noch von der Innovationskraft Einzelner an den Schulstandorten abhängig. Bildung ist letztlich aber auch ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag.
Als wie wichtig erachten Sie frühzeitige Wirtschafts- und Finanzbildung bei jungen Menschen? Um die Frage seriös zu beantworten, muss in einem ersten Schritt geklärt werden, was wir unter Wirtschafts- und Finanzbildung verstehen. Sehr oft erleben wir ein reduziertes Verständnis von wirtschaftlicher Bildung - dass die Schülerinnen und Schüler beispielsweise nicht wissen, wie sie eine Arbeitnehmerveranlagung durchführen, was Inflation bedeutet oder wie die Steuern funktionieren. Dieses Wissen braucht es natürlich, es ist aber "nur" ein Teil eines größeren Ganzen. Kinder und Jugendliche müssen sich konzeptionell mit unterschiedlichen Fragestellungen in dem Wirkungsgefüge Politik - Wirtschaft - Gesellschaft - Umwelt altersadäquat auseinandersetzen können. Lernen kann nur nachhaltig verankert werden, wenn man an die Lebenswelten und Erfahrungen der Jugendlichen anknüpft.
Sehr oft wird österreichischen Jugendlichen in Sachen Finanzbildung ein Mangel an Wissen attestiert - woran liegt das? Diese Defizite weisen bestimmt nicht nur Jugendliche, sondern auch viele Erwachsene auf. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Ich setze große Hoffnung auf den neuen Lehrplan für Geografie und wirtschaftliche Bildung - hier wurde Wirtschaftsbildung nicht nur sehr verstärkt, sondern es wurden auch zentrale Themen des 21. Jahrhunderts wie Klimakrise, Digitalisierung, Energiewende, Flucht und Migration, aber auch wirtschaftliches und finanzielles Wohlergehen aufgegriffen.
Wichtig ist, dass es jetzt viele Fortbildungen gibt und die Lehramtsausbildung ebenfalls angepasst wird. Spannend wird sein, wie die Schulbücher zu diesem neuen Lehrplan aussehen werden. Sie sind nach wie vor ein zentrales Medium im Unterricht, das maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl von Inhalten und die Gestaltung des Unterrichts hat. Die Inhalte von Schulbüchern sind oft dominanter als verordnete Lehrpläne.