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Mehr Vielfalt würde dem Arbeitsmarkt guttun

Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund sind am Arbeitsmarkt noch immer benachteiligt, Diversity ist lediglich ein Schlagwort, mit dem nur wenige etwas anfangen können. Dabei würde mehr Diversität allen etwas bringen.

Als 2015 Hunderte junge Menschen aus den Krisengebieten am Salzburger Bahnhof ankamen, mit ihrem Hab und Gut in Plastiksackerln und zum Teil ohne Schuhe, wurden sie vom Roten Kreuz in Quartieren versorgt. Für die Verantwortlichen stellte sich bald eine wesentliche Frage: Was tun mit den vielen jungen Menschen, bis ihre Asylverfahren abgewickelt sind? Der Arbeitskräftemangel in der Gastronomie war damals schon ein großes Thema. Man stellte ein Ausbildungskonzept auf die Beine, das in wenigen Wochen in die Jobs einführt.

"Für Menschen aus Nicht-EU-ländern sollte der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden."
Herbert Wieser
Flüchtlingskoordinator Rotes Kreuz

Herbert Wieser, der selbst in der Gastronomie tätig war, hat die Projektleitung inne und weiß, dass gerade in dieser Branche die Nationalität schon immer zweitrangig war. "Ob der Koch jetzt aus Österreich oder Guatemala kommt, ist wirklich egal", sagt er. So startete der erste Kurs, zunächst nur für Männer, später nahm man auch Frauen dazu. Aktuell finden zwei Kurse parallel statt mit 25 Personen, 42 waren zur Anmeldung gekommen. Zum Fachunterricht gehören auch Lernbegleitung und Workshops über das Leben in Österreich.

Seitens der Behörde gab es Erleichterungen, die neuen Arbeitskräfte konnten schnell und unbürokratisch vermittelt werden, erhielten einen Aufenthaltsstatus und bekamen von den neuen Arbeitgebern Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Bislang konnte man 278 Personen erfolgreich an die Gastronomie und Hotellerie, aber auch an andere Branchen vermitteln. Manche damaligen Asylbewerber arbeiten heute in Führungspositionen. Herbert Wieser ist der Meinung, dass für Menschen aus Nicht-EU-Staaten der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden sollte. "Wir haben selbst die Menschen, die des Deutschen kaum mächtig waren, in Behörden begleitet und ihre Spießrutenläufe von Beamten zu Beamten erlebt." Der Projektleiter des Roten Kreuzes ist überzeugt: Um in einem fremden Land richtig Fuß fassen zu können, benötigt es weit mehr, als nur eine Unterkunft zur Verfügung gestellt zu bekommen. Das betrifft auch die vielen Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Österreich gern arbeiten würden - wären die bürokratischen Hürden nicht so hoch.

Jeder Vierte hat Migrationshintergrund

Verschiedene Studien zeigen, dass es in der Regel rund fünf Jahre dauert, um die Hälfte der geflüchteten Menschen auf dem Arbeitsmarkt einzubinden. In Österreich haben 55 Prozent der Menschen, die ab 2015 nach Österreich gekommen sind, einen Job gefunden und sind am Arbeitsmarkt integriert. Männer machen davon 70 Prozent aus, Frauen aus Syrien und Afghanistan sind lediglich zu 20 Prozent am Arbeitsmarkt eingebunden.

"In Österreich wird in der Tat wenig realisiert, dass wir uns in einer multikulturellen Gesellschaft befinden."
Wolfgang Aschauer
Soziologe

Wolfgang Aschauer ist Soziologe an der Universität Salzburg und beschäftigt sich mit Daten und Fakten zur Migration. "In Österreich wird wenig realisiert, dass wir uns in einer multikulturellen Gesellschaft befinden. Immerhin hat hierzulande jeder Vierte Migrationshintergrund", sagt er. Außerdem sei die Gruppe der Zugewanderten enorm heterogen und es handle sich nicht, wie landläufig angenommen, vorrangig um Menschen aus Ex-Jugoslawien und der Türkei. "Wir sehen, dass in den letzten Jahren die EU-interne Migration, insbesondere aus Osteuropa, stark gestiegen ist", betont der Soziologe. "EU-Bürger können am Arbeitsmarkt gut eingebunden werden, schwieriger ist es bei türkischstämmigen Personen und einzelnen Gruppen an Geflüchteten, weil die Bildungsqualifikationen tendenziell niedriger sind. Bei den Zuwanderern aus Ex-Jugoslawien zeigt sich teils ein anderes Dilemma: Obwohl die zweite Generation in puncto Bildung enorm aufgeholt hat, werden diese Arbeitskräfte oft nicht ihren Qualifikationen entsprechend eingestellt bzw. kommen karrieremäßig schwerer voran", sagt Aschauer.

Die Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund ist sowohl Hol- als auch Bringschuld, ist der Soziologe überzeugt. "Tatsächlich ist in Österreich die Mentalität des Forderns stärker als die des Förderns", sagt er und verweist auf die aktuelle Leitkulturdebatte, die statt Integration recht eindeutig Assimilation und Anpassung an die österreichische Kultur fordert. Plakativ ließe sich sagen: Eine österreichische Staatsbürgerschaft muss man sich verdienen. "Integration erfolgt aber nur, wenn man entsprechende Förderangebote macht und gezielt bei den Qualifikationen der Menschen ansetzt", sagt Aschauer. "Und wir müssen erkennen, dass wir in einer Welt leben, in der Zuwanderer in mehreren Kulturen eingebunden sein können", eben in der österreichischen und in der ihrer ursprünglichen Heimatländer. "Diese Lebensrealität wird bei uns zu wenig gesehen. Das wiederum fällt nicht selten als Stereotyp auf die Migrantinnen und Migranten zurück, die gern als integrationsunwillig bezeichnet werden."

In Österreich und Deutschland sieht der Soziologe jedenfalls Nachholbedarf bei der Integrationspolitik. Wobei: Umfragedaten aus Deutschland zeigen, dass die Menschen toleranter in Bezug auf ein Leben in einer multikulturellen Gesellschaft werden. Das wird selten gesehen, weil die Kritiker der Migration lautstark dagegen auftreten und der Polarisierung Vorschub leisten. Daher lautet Aschauers Wunsch an die Medien, dass mehr über positive Erfahrungen in einer multikulturellen Welt berichtet wird.

Mit der Stärkung von Frauen ist es nicht getan

Seit zwei Jahren leitet Nalan Gündüz die Bundesorganisation LEA - Let's empower Austria, in der es darum geht, Mädchen und Frauen zu fördern und weibliche Karrierewege abseits geschlechterbezogener Erwartungen sichtbar zu machen. "Wir müssen beginnen, das große Ganze zu sehen und eine Vorstellung zu bekommen, wie Gleichstellung in unserer Gesellschaft gesehen wird. Erst dann können wir sagen, wo gesamtgesellschaftliche Sensibilisierung ansetzen muss, um das Ziel zu erreichen", sagt sie.

"Wir wachsen mit gewissen Bildern auf, etwa dass die einflussreichen Jobs Männer haben"
Nalan Gündüz
Geschäftsführerin von LEA

Allein mit der Stärkung von Mädchen und Frauen sei es nicht getan, Gleichstellung müsse mehrdimensional behandelt werden; vor allem in Bezug auf die herrschenden Rollenbilder. "Wir wachsen ja mit gewissen Bildern auf, etwa dass die ,wichtigen' Jobs - jene mit großer Einflussnahme in Politik und Wirtschaft - männlich besetzt sind. Da kann das Elternhaus noch so an Gleichstellung interessiert sein und aufklären. Ich glaube, dass wir bis zu einem gewissen Punkt auch gefangen sind, weil es so bequemer ist. Das ist, glaube ich, auch menschlich", sagt Gündüz. Umso wichtiger sei es, mit der Bildungsarbeit schon im Kindergarten zu beginnen. Für die Juristin ist Gleichstellung ein Thema, bei dem sich alle Menschen an der Nase nehmen müssten. "Niemand ist davor gefeit, tradierte und überholte Bilder weiterzugeben." Ein Wandel im Großen passiere nicht von heute auf morgen, es sei vielmehr ein Prozess. "Wir sehen in unserer Arbeit, dass die jüngere Generation da schon sehr viel mehr Offenheit mitbringt."

Ein Wandel braucht Zeit

Was zudem wichtig sei: Männer ins Boot zu holen. Bei vielen Männern lösten Gespräche von Frauen über das Thema Gleichstellung unangenehme Empfindungen aus, im Sinne von: Ihr seid gegen uns, konstatiert Gündüz. Gehe es um die finanzielle Schlechterstellung der Frauen, hätten viele nicht selten das Argument parat: "Dann sollen die Frauen halt besser verhandeln." "Im Rahmen von Schulworkshops versuchen wir genau da anzusetzen. Erst nachdem man Aspekte wie Gender-Pay-Gap erklärt oder über die tatsächlichen ungleichen Chancen diskutiert hat, können eigene Denkmuster hinterfragt werden. Geschlechtergleichstellung bringt ja nicht nur den Frauen Vorteile", betont Gündüz. Vor allem braucht es eines, ist Nalan Gündüz überzeugt: keine Schuldzuweisungen, sondern als Gesellschaft gemeinsam dasselbe Ziel zu verfolgen, nämlich die Gleichstellung von Frauen und Männern.

"Mehr Vielfalt bedeutet weniger Konflikte, ein Aufeinander-Zugehen und Einander-Verstehen."
Sabine Weber-Treiber
Diversitätsexpertin

Sabine Weber-Treiber ist Beraterin und Key-Note-Speakerin beim Diversity Think Tank Austria, sie weiß, worüber sie spricht. Als Frau im Rollstuhl kennt sie die Vorurteile, denen man als Mensch mit Behinderung ausgesetzt ist. "Viele sehen nur den Rollstuhl, aber nicht, dass ich ein Leben mit Ehemann, zwei Kindern, zwei Katzen habe, berufstätig und Leistungssportlerin bin", sagt sie. "Meine Antwort lautet hier meist: Ich hab's nur in den Beinen und nicht im Kopf!" Weder ihre Lösungsorientierung sei mit der Behinderung verschwunden noch ihre anderen Fähigkeiten, die ihr ermöglichten, ihren Leidenschaften und Tätigkeiten nachzugehen.

Dabei könnten Menschen wie sie die Arbeitswelt enorm bereichern, ist Weber-Treiber überzeugt. "Menschen mit Behinderung verfügen über Fähigkeiten, die andere Kollegen nicht so ausgeprägt haben." Doch statt Menschen mit Behinderungen einzustellen, "kaufen" sich viele Unternehmen frei. Ab 25 Mitarbeitern müsste man per Gesetz eine Person mit einer Behinderung anstellen. "Hinderlich sind hier häufig Berührungsängste und ungeklärte Fragen: Wie gehe ich mit einer Person mit Behinderung um? Was kann ich sie fragen, was ihr zumuten?", sagt Weber-Treiber. Eine weitere Hürde sei der viel zitierte Kündigungsschutz. Hier stellt die Diversity-Expertin klar: Wird eine Person aus dem Kreis der begünstigten Behinderten eingestellt, so hat sie die ersten vier Jahre dieselben Rechte und Pflichten wie alle anderen Mitarbeitenden, kann also genauso gekündigt werden. Erst nach dem vierten Jahr der Betriebszugehörigkeit hat sie ein Anrecht auf erhöhten Kündigungsschutz. Sind betriebsbedingt Kündigungen notwendig, darf diese Person nicht die erste sein, die von Personalabbau betroffen ist.

Diversität muss gewollt sein

Egal ob Gleichstellung unter den Geschlechtern, Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung: "Es sind oft alte Rollenbilder, die schwer aufzubrechen sind, auch oder besonders in den Führungsebenen", weiß die Diversity-Expertin. Diversity Management zu etablieren sei nur dort erfolgreich, wo die Chefetage auch vollinhaltlich dahinterstehe. Nachholbedarf sieht Weber-Treiber in Österreich quer durch alle Branchen. In manchen Bereichen braucht es auch noch Änderungen der rechtlichen Voraussetzungen, um allen Menschen eine gerechtere Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Freilich: Diverse Teams zu führen bedeute auch ein Stück weit mehr Arbeit, "wo Menschen sind, menschelt es halt", betont Weber-Treiber. Diversity Management bereitet den Boden dafür auf, dass unabhängig davon, welche Ansichten bestehen, ein gemeinsames Ziel angestrebt wird, das man zusammen für das Unternehmen verfolgt. "Nicht jeder bewegt sich auf die gleiche Art und Weise in Richtung Ziel, aber ankommen wollen doch alle. Dieses Verständnis für Vielfalt zuzulassen ist enorm wichtig. Das gilt auch für die Gesellschaft insgesamt. Mehr Akzeptanz und mehr Toleranz würden weniger Konflikte bedeuten, dafür ein Aufeinander-Zugehen, ein Einander-Zuhören und vor allem ein Reflektieren."

Porsche setzt auf Diversität

Bei der Porsche Holding Salzburg bekennt man sich zu Diversität. Dort hat besonders die Pandemie einen Ruck nach vorn bewirkt. Die Führungskräfte würden geschult, um sich des sogenannten Unconscious Bias, des unbewussten Reagierens aufgrund gewohnter Stereotype, bewusst zu werden, erklärt Personalchef Klaus Fetka. "Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt strukturell verändert hat und die Bewerberinnen und Bewerber mit einem anderen Bewusstsein auftreten." Für mehr Diversität will man unter anderem den Frauenanteil erhöhen, der aktuell bei 20 Prozent liegt. Bei Inklusion ist man eine Partnerschaft mit einer Organisation eingegangen, die Menschen mit Neurodivergenz vermittelt. Die Gehirne dieser Menschen passen nicht in ein Normschema, richtig eingesetzt leisten sie jedoch großartige Dienste. Mit dem ein Mal im Monat stattfindenden LGBTQI-Stammtisch will man mehr Queerness und Offenheit ins Unternehmen lassen.

Ist damit schon genug getan? Klaus Fetka sagt: "Diese Frage stellen wir uns bei jeder unserer Aktivitäten im Bereich Diversität. Das Thema hat sicherlich noch keine volle Durchdringung, aber je mehr Debatten es darüber gibt, desto mehr wird es auch im Unternehmen und damit auch in der Gesellschaft ankommen." Denn: Vielfalt sei immer besser als Einfalt. Das müsse man den Mitarbeitenden so auch kommunizieren.

Es sind viele Herausforderungen, die der Arbeitsmarkt aktuell zu stemmen hat. Was Salzburger Recruiter dazu sagen, erfahren Sie auf den nächsten Seiten.

Dieser Artikel stammt aus dem Magazin "DIE BESTEN- Das Karrieremagazin".