Mehr als ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher versteht nicht, was in diesem Artikel steht. Das Lesen klappt zwar irgendwie, den Sinn eines längeren Textes zu erfassen allerdings nicht. Das belegt die aktuelle OECD-Studie, die Österreich in puncto Lesekompetenz ein schlechtes Zeugnis ausstellt.
BILD: SN/NUNOI - STOCK.ADOBE.COM
In Österreich hat sich die Lesekompetenz in den letzten elf Jahren signifikant verschlechtert, wie die aktuelle OECD-Studie zeigt. Fast ein Drittel der Bevölkerung hat Schwierigkeiten, längere Texte zu erfassen, was Probleme im Berufsleben bereiten kann.
Zwischen die vielen Kinder und Jugendlichen mischen sich bei LOS Salzburg ab und an auch ein paar Erwachsene. Das Lerninstitut für Orthografie und Sprachkompetenz in der Bayerhamerstraße hilft bei Problemen mit dem Lesen und Schreiben. Seit dem Start der Bildungseinrichtung vor sechs Jahren waren etwa 15 Erwachsene zur Förderung dort. "Sie kommen im Job nicht weiter, weil es am Lesen scheitert. Oder machen spät den Führerschein, fallen immer wieder durch die Theorieprüfung und dann wird klar: Das liegt am Lesen", sagt Eva Maria Zehentner im Gespräch mit den SN. Sie ist eine der beiden Leiterinnen und hat LOS von Saarbrücken (Deutschland) nach Salzburg gebracht.
Österreich zeigt Lesekompetenzschwächen auf
29 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher weisen eine geringe Lesekompetenz auf. Das belegt die aktuelle PIAAC-Studie der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung - kurz OECD. Sie hat in mehr als 30 Ländern weltweit die Alltagsfähigkeiten Erwachsener beim Rechnen, Problemlösen und Lesen untersucht. Die sogenannte "Erwachsenen-PISA-Studie" haben in Österreich das Bildungs- und Arbeitsministerium in Auftrag gegeben.
"Eine Vielzahl Erwachsener kann Texte nicht flüssig lesen, hat Probleme, sie inhaltlich zu verstehen und darüber nachzudenken. Das hat zur Folge, dass sie die Texte auch nicht für sich nutzen können, um das eigene Wissen zu erweitern."
Eva Maria Zehentner
LOS Salzburg
Auffallend bei den österreichischen Ergebnissen ist: Die Lesekompetenz der 16- bis 65-Jährigen ist in den vergangenen elf Jahren signifikant gesunken. "Eine Vielzahl Erwachsener kann Texte nicht flüssig lesen, hat Probleme, sie inhaltlich zu verstehen und darüber nachzudenken", sagt Zehentner. Das habe zur weiteren Folge, dass sie diese Texte auch nicht für sich nutzen könnten, um das eigene Wissen zu erweitern. Bislang waren bei 17 Prozent der erwachsenen Österreicherinnen und Österreicher Schwächen beim Lesen zu erkennen, jetzt sind es 29 Prozent. Die Lesekompetenz liegt damit unter dem OECD-Schnitt und deutlich hinter Ländern wie Finnland, Japan und Schweden.
Lesekompetenz fordert Bildungssystem heraus
Gründe wie das Altern der Bevölkerung oder die Zuwanderung hätten auf die unterdurchschnittlichen Ergebnisse keinen Einfluss, heißt es von der Statistik Austria. Sie hat die Tests 2022/2023 für die OECD durchgeführt. Ausschlaggebend seien stattdessen das soziale Umfeld, die Verschlechterung des Bildungssystems sowie die zunehmende Digitalisierung, sagt die Salzburger LOS-Pädagogin. Wer eine niedrige Lesekompetenz aufweise, sei deshalb nicht weniger intelligent, stellt Zehentner klar. "Lesen ist eine Basiskompetenz. Das fängt in der Kindheit an. Das wird zu Hause vernachlässigt, weil oft auch keine Zeit zum Üben bleibt. Und diese Unsicherheit zieht sich bis ins Alter." Größere Klassenstärken in den Schulen und Onlinemedien mit verkürzter Sprache und Trendbegriffen tragen ihr Übriges dazu bei. Wer einmal hinterherhinkt, hinkt immer weiter hinterher: Die Automatisierung - wie das Schalten beim Autofahren - stellt sich nicht ein. Lesen wird zum Kraftakt - fordert übermäßig Zeit und Konzentration. Energie zum Nachdenken, Kombinieren und Zwischen-den-Zeilen-Lesen fehlt.
Digitalisierung erhöht Lesebedarf dramatisch
"Noch nie war das Lesen so wichtig", sagt Zehentner. Durch die zunehmende Digitalisierung und den vermehrten Einsatz der künstlichen Intelligenz werde das Lesen noch einmal massiv an Bedeutung gewinnen: "Wer nicht gut lesen kann, kann keine Fehler in Informationen finden. Wer nicht gut lesen kann, kann keine Wertung in Texten erkennen. Wer nicht gut lesen kann, macht sich angreifbar und abhängig, manipulierbar und ein Stück weit unmündig."
Leseschwäche erkennen und Hilfe suchen
Eine Unsicherheit und Schwäche beim eigenen Lesen zu erkennen, das ist der erste Schritt. Der zweite ist, sich Hilfe zu holen. Der dritte Schritt bringt schon Erleichterung: "Eine unserer Hauptaufgaben bei LOS ist es, zu zeigen, dass man mit diesem Problem nicht allein ist. Es geht auch anderen so." In Österreich mehr als einem Viertel.
PIAAC (Programme for the International Assessment of Adult Competencies)
PIAAC ist eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Untersuchung wird in Österreich von Expert:innen der Statistik Austria im Auftrag des Bildungsministeriums sowie des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums durchgeführt.
PIAAC untersucht weltweit die Alltagsfähigkeiten der erwachsenen Bevölkerung zwischen 16 und 65 Jahren in puncto Lesekompetenz, Alltagsmathematik und adaptives Problemlösen. Die Studie wird im Abstand von etwa zehn Jahren durchgeführt. Österreich hat erstmals 2011/2012 und zuletzt 2022/2023 Ergebnisse erhoben; insgesamt haben an der aktuellen Studie 31 Länder teilgenommen. In allen drei untersuchten Kompetenzbereichen rangiert Finnland auf Platz 1, gefolgt von Japan und Schweden; Schlusslicht ist Chile.
Bei der Lesekompetenz liegt Österreich mit 254 Punkten im Mittelwert unter dem OECD-Schnitt von 260 Punkten; bei der Alltagsmathematik mit 267 Punkten über dem Schnitt von 263; beim adaptiven Problemlösen mit 253 Punkten ebenfalls über dem Schnitt von 251 Punkten.
Deutschland und die Schweiz liegen in allen Bereichen vor Österreich; Nachbarländer wie Italien und Ungarn deutlich darunter.