"Schulen erfüllen die Erwartungen vieler Menschen nicht. Ich versuche, dieser Kritik eine positive Vision entgegenzusetzen."
Schulsystem reformieren: Druck mindern
Das Ziel sei, Wege zu finden, die spürbare Veränderungen im aktuellen Schulsystem erzeugen - weg vom Druck der Prüfungen, der Schülerinnen und Schüler belastet. Es gehe darum, was Lehrkräfte, Schulleitungen, Eltern und Bildungsverantwortliche tun können, um diese Neugestaltung umzusetzen. Für den Autor steht fest: "Dafür müssen sie ihren erlernten Gehorsam auf die Seite legen. Ich halte mich nicht an Normen und setze mich über problematische Vorgaben hinweg, wenn sie uns einschränken."
Bereiche zeitgemäßen Lernens: Projektlernen fördert individuelles Lernen
Generell steht der Frontalunterricht immer wieder am Pranger - die Forderung nach einer zunehmenden Individualisierung der Stunden hat eine ebenso lange Geschichte. Sehr wenige Schulen und Schulformen haben sich tatsächlich von dieser "frontalen" Form des Lernens gelöst. "Außerhalb der Schule ist allen Menschen klar, dass Lernen ungleichzeitig verläuft, dass Lernende unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen und mit unterschiedlichen Mitteln optimal gefördert werden können", so Wampfler.
Im Rahmen dessen brauche es eine positive Vorstellung der asynchronen Kommunikation, ist der Autor überzeugt: "In Hinweisen zum Fernunterricht habe ich zusammen mit anderen Fachpersonen eine einfache Maxime aufgestellt: ,So viel asynchrone Kommunikation wie möglich, so viel synchrone wie nötig.'" Mit synchroner Kommunikation ist gemeint, dass Lehrende und Schüler zur selben Zeit aktiv sind und somit eine unmittelbare Rückkopplung erfolgen kann. Asynchron heißt: "Weder Lehrende noch Lernende sind gezwungen, zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv zu werden." Auch im Zuge dessen sei Projektlernen zielführend(er): "Im Projektlernen ist die Präsentation von Lernprodukten eine entscheidende Phase, um erstens die Reflexion über den Projektverlauf zu vertiefen, zweitens Feedback der anderen Lernenden einzuholen und drittens Wertschätzung für die geleistete Arbeit zu erhalten."
Lehrende müssen mehr Feedback und Reflexion anbieten
Zudem sei die Präsentation von Lernergebnissen auch für Lernprozesse ohne Projektanteil ein sinnvoller Weg, um asynchrone Prozesse zu gestalten und dabei Verbindlichkeit zu betonen. Die Schlussfolgerung asynchroner Lernphasen sei, dass Lehrkräfte mehr Feedback und mehr Reflexion anbieten müssen. "Feedback verbindet eine gezielte Rückmeldung zu geleisteten Arbeiten mit Wertschätzung. Feedback ist doppelt persönlich und subjektiv: Es bezieht sich auf die Arbeit einzelner Lernender und geht von Wahrnehmungen der Lehrkräfte aus, die keinen objektiven Charakter annehmen sollen. Feedback ist in hohem Maße lernwirksam", erläutert Wampfler. Die Reflexion beziehe sich auf den subjektiven Rückblick der Schülerinnen und Schüler, die sich darüber Gedanken machen, was sie mit welchen Methoden gelernt haben und was ihren Erfolg begünstigt oder erschwert hat.
Kasernenmodell hat ausgedient - Bedeutung von Inhalten im sozialen Kontext erarbeiten
Das weithin verbreitete "Standardmodell" des Schulunterrichts mit "Übungseinheiten" und Pausen, das auf der Struktur einer Kaserne basiert, hat heutzutage ausgedient - in diesem Punkt sind sich viele Expertinnen und Experten einig. Laut Wampfler braucht es "Raum für Teams", das heißt, Raum für unterschiedliche Lernarrangements, Flexibilität, Transparenz und Mehrfachnutzung von unterschiedlich großen Räumen.
Des Weiteren betont der Autor, dass soziale Erlebnisse im schulischen Rahmen Sinnerlebnisse erzeugen. "Schülerinnen und Schüler erfahren die Bedeutung von Inhalten, wenn sie sich damit in sozialen Kontexten auseinandersetzen." Hierzu zählen wiederum Projekte, in denen die Lernenden gemeinsam Themen be- und Problemlösungen erarbeiten. "Zusammengefasst kann der soziale Aspekt die Sinnfrage beantworten", ist Wampfler überzeugt: "Wer eine Auseinandersetzung in einer Gemeinschaft führt, die für alle eine Bedeutung hat, stellt sich nicht die Frage, welchen Sinn das hat." Besuchen Schülerinnen und Schüler einen Unterricht, der ihre Entwicklung und soziale Erlebnisse berücksichtigt, spürten sie, "dass das, was sie tun, eine Bedeutung hat - für sie selbst und für andere"
Was macht eine "gute" Schule aus?
Positive Emotionen sind ein Teil des großen Ganzen, wenn es um erfolgreiche Stunden in der Schule geht. Lachen gehört dazu. "Die Lehrkraft soll mit der Klasse gemeinsam lachen können. Für mich ist das die Minimaldefinition einer gelungenen Stunde", beschreibt der Schweizer Lehrer.
Abschließend stellt sich die Frage: Was macht nun eine "gute" Schule aus? "Eine gute Schule ist eine Schule, die für Schülerinnen und Schüler gemacht ist", sagt Wampfler: "Der Titel meines Buches ,L'école, c'est moi' ist subversiv gemeint, weil der Ausspruch von Lernenden ausgeht." Es gehe nicht darum, auf Autorität zu bestehen, wie das der absolutistische Herrscher Louis XIV mit "Der Staat, das bin ich" getan hat. Es gehe um Beteiligung an dem, was an Schulen geschieht. Die Schülerinnen und Schüler "bestehen auf ihrem Recht, Schule mitzugestalten, statt beschult zu werden", erläutert der Autor. "Letztlich handelt es sich um eine Gegenposition zur Vorstellung einer Schule, in der Erwachsene Kinder und Jugendliche formen wollen." Denn: Die Schülerinnen und Schüler würden spüren, "dass sie tatsächlich im Mittelpunkt stehen, dass sie mit ihren Persönlichkeiten und Bedürfnissen das sind, worum es an Schulen geht".
Buchtipp: Philippe Wampfler, "L'école, c'est moi. Schüler:innen im Zentrum zeitgemäßen Unterrichts", 2024, hep-Verlag.