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Österreichs Versäumnis: Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie fehlt

Die Zeit wird knapp: Zwei Jahre nach Verabschiedung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie fehlt noch immer eine österreichische Umsetzung.

Heißer Herbst: Der Gender-Pay-Gap zeigt sich als ein langwieriges Problem, dem die EU-Entgelttransparenzrichtlinie entgegenwirken soll. Bis Juni 2026 muss diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sein, doch Österreich hinkt bisher hinterher.
Heißer Herbst: Der Gender-Pay-Gap zeigt sich als ein langwieriges Problem, dem die EU-Entgelttransparenzrichtlinie entgegenwirken soll. Bis Juni 2026 muss diese Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sein, doch Österreich hinkt bisher hinterher.

In weniger als zehn Monaten ist es so weit: Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie 2023/970 muss bis 7. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt sein. Damit soll es dem Gender-Pay-Gap endlich an den Kragen gehen und das Prinzip "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit" flächendeckend wirksam werden. In Österreich sucht man Umsetzungsfortschritte bislang allerdings vergebens. Damit tappen österreichische Arbeitgeber weiterhin im Dunkeln: Ohne nationales Gesetz zur Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie fehlen Unternehmen rechtssichere Vorgaben zur Reduktion des Gender-Pay-Gaps.

Gastautor Dr. Stefan Waschmann ist selbstständiger Berater mit Schwerpunkt Entgeltsysteme, Fair Pay und Lohn- und Gehaltstransparenz.
Gastautor Dr. Stefan Waschmann ist selbstständiger Berater mit Schwerpunkt Entgeltsysteme, Fair Pay und Lohn- und Gehaltstransparenz.

Der Gender-Pay-Gap ist ein chronisches Problem in der EU

Die Entgelttransparenzrichtlinie soll Abhilfe bringen, indem die Schwächen der Vorgängerrichtlinien repariert und EuGH-Entscheidungen der letzten Jahre kodifiziert wurden. Das Ergebnis: Ab 2026 müssen nicht nur idente, sondern auch gleichwertige Jobs nach geschlechtsneutralen Kriterien gleich entlohnt werden. Noch immer verdienen mitunter die häufig männlichen Lagerarbeiter besser als die häufig weiblich besetzte Kundenhotline im gleichen Unternehmen, obwohl bei Verwendung neutraler Kriterien die Kundenbetreuung höher zu bewerten und damit zu bezahlen wäre. Die Richtlinie setzt zudem auf Transparenz: Entgeltberichte sollen geschlechterbezogene Gehaltsschiefstände offenlegen und Überwachungsstellen (sowie Strafandrohungen) dafür sorgen, dass diese Schiefstände auch beseitigt werden.

Die Gender-Pay-Gaps in Europa sind - gelinde gesagt - sehr breit gestreut. Luxemburg weist einen negativen Gender-Pay-Gap auf. Frauen verdienen also - im Hinblick auf den unbereinigten Gender-Pay-Gap - mehr als Männer. Österreich (18,3%) dagegen bildet gemeinsam mit Deutschland (17,6%), Tschechien (18,0%) und Ungarn (17,8%) die traurige Hochburg des Gender-Pay-Gaps. In keinem dieser Länder existieren bislang Gesetzesvorschläge, wie die Entgelttransparenzrichtlinie umgesetzt werden soll.

In Österreich (und beispielsweise auch in Deutschland) bereiten ausgerechnet die lange Zeit als Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gefeierten Kollektivverträge Kopfzerbrechen. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie benennt vier Kriteriengruppen, die zur Ermittlung des Arbeitswerts - und damit der Gehaltsgruppe bzw. des Gehalts - herangezogen werden sollen: Kompetenzen, Verantwortungen, Belastungen und Arbeitsbedingungen. Die meisten Kollektivverträge kennen allerdings gar keine Ermittlung des Arbeitswerts nach differenzierten Kriterien, sondern verwenden kurze Prosa-Beschreibungen wie: "Mitarbeitende mit abgeschlossener Ausbildung und schwierigen Aufgaben sind in Gehaltsgruppe D einzuordnen." Eine Logik, die riesige Interpretationsspielräume eröffnete und als ein Haupttreiber für den Gender-Pay-Gap gilt. Zudem wurden damit Kriterien wie soziale Verantwortung oder psychosoziale Belastungen unter den Teppich gekehrt oder nur Macho-Kriterien wie Durchsetzungsstärke oder reine Körperkraft berücksichtigt.

Was brauchen wir nun in Österreich?

Zehn Monate vor der Umsetzungsfrist sitzen die meisten Unternehmen auf glühenden Kohlen. Zwar ist die Entgelttransparenzrichtlinie klar formuliert und ihre Kernpunkte werden in den nationalen Entwürfen anderer EU-Länder bisher meist unverändert in die jeweiligen Gesetzgebungen übernommen. Gerade in Österreich steckt der Teufel ob der hohen Kollektivvertragsabdeckung aber im Detail. Beispielsweise sollte das Verhältnis von kollektivvertraglichen Gehältern und Überzahlungen eindeutig geklärt sein. Im schlimmsten Fall könnten sonst von Kollektivverträgen neue, verpflichtende, differenzierte Kriterien zur Bildung von KV-Gehältern vorgegeben werden, die jenen von üblichen (bei großen Unternehmen oft bereits etablierten) Kriteriensystemen widersprechen. Eine komplexe Sisyphusarbeit wäre die Folge.

Umsetzungsentwürfe: Lernen von anderen EU-Ländern

Auch von den Umsetzungen anderer Länder sollte Österreich lernen, genug Best-Practice-Beispiele gäbe es inzwischen in der EU. Langsam gerät Österreich nämlich auch gegenüber anderen EU-Ländern ins Hintertreffen. In Finnland, Litauen, den Niederlanden, Polen, Irland, Belgien und Schweden liegen - mal mehr, mal weniger vollständige - Umsetzungsentwürfe bereits auf dem Tisch.

Es ist hoch an der Zeit, dass der österreichische Gesetzgeber und die Sozialpartner einen konkreten Regelungsentwurf auf den Tisch legen. Denn planbare Rechtssicherheit und Klarheit für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber genauso wie unselbstständig Beschäftigte hat nun, zehn Monate vor Umsetzungsfrist, höchstes Gewicht für alle Betroffenen.