Wie kommt ein Biergut auf die Idee, einen Campus zu gründen, dessen Schwerpunkt eben nicht beim Brauen liegt?
Wildshut-Campus: Mehr als Hopfen und Malz
Mit dem Wildshut-Campus will Stiegl nicht nur Wissen vermitteln, sondern Haltung: für Kinder wie CEOs.


Kerstin Vockner (HR Stiegl): Wildshut ist das erste Biergut Österreichs und ein echtes Herzensprojekt der Stiegl-Eigentümerfamilie Kiener. Es geht hier längst um mehr als nur ums Bierbrauen, auch wenn das natürlich im Zentrum steht: um gesunde Böden, biologische Landwirtschaft, um Genuss, Gastfreundschaft, Achtsamkeit und vieles mehr. Und genau das wollen wir nun mit dem Wildshut-Campus sichtbar machen.
Teil des Campus ist auch ein Kinderprogramm. Was ist der Vorteil, bei Nachhaltigkeit so früh anzusetzen? Vockner: Wir am Stiegl-Gut Wildshut verstehen uns als Impulsgeber für ein neues Bewusstsein: Wenn Themen wie achtsamer Umgang mit Ressourcen oder Kreislaufwirtschaft schon früh spielerisch vermittelt werden, können sie Teil der Identität werden.
Im Oktober startet auch ein MBA-Lehrgang zum Nachhaltigkeitsmanager. Was sind die zentralen Inhalte und Ziele dieser Ausbildung?

Günther Reifer (Terra Institute): Weil Unternehmen ja selbst in die Wirkung kommen wollen, haben wir ein spezielles Angebot entwickelt: unser Ausbildungsprogramm zum Transformations- und Nachhaltigkeitsmanager, das sich an erfahrene Führungskräfte richtet. Das ist ein offizieller, modular aufgebauter Masterabschluss mit 60 ECTS, den wir gemeinsam mit der Steinbeis-Hochschule Stuttgart und der Westminster University London anbieten. Das Besondere: Die Ausbildung ist sehr praxisnah, mit echten Fällen aus der Unternehmenswelt, auch von Stiegl und Wildshut.
Wie stellen Sie sicher, dass alle drei Säulen der Nachhaltigkeit - ökologische, ökonomische, soziale - gleichwertig berücksichtigt werden? Reifer: Wir denken gar nicht mehr in drei Säulen, sondern in einem ganzheitlichen 360-Grad-Konzept. Wenn Probleme auftauchen, versuchen viele noch, diese mit mehr vom Alten zu lösen. Bei uns bekommen die Teilnehmenden ein fundiertes Grundlagenwissen, aber auch den Blick aufs große Ganze: geopolitische Entwicklungen, Bevölkerungsentwicklung oder gesellschaftliche Veränderungen wie in China oder Amerika - und was das alles für Europa bedeutet. Es geht weit über das rein Fachliche hinaus. Und ganz wichtig ist auch der persönliche Austausch zwischen den Teilnehmenden vor Ort in Wildshut. Da entstehen wertvolle Vernetzungen und tiefe Diskussionen, die sich oft spontan und ungeplant entwickeln.
Wie gestaltet sich Nachhaltigkeitsmanagement eigentlich in der Praxis? Vockner: Bei Stiegl etwa ist das schon lange Teil der DNA. Wir haben seit 1995 durchgehend einen Nachhaltigkeitsbericht. Damals war das noch ein Umweltbericht, mit Wasser- und Energiebilanzen, aber über die Jahre hat sich das stark weiterentwickelt. Das Spannende ist: Durch Projekte wie das Stiegl-Gut Wildshut und jetzt den Wildshut-Campus bekommt das Ganze ein Dach. Es geht um mehr als nur Wissen. Es geht um einen Ort der Begegnung und gelebte Haltung. "Wir lieben das Leben und bringen Menschen zusammen" - dieser Leitsatz gilt für die ganze Brauerei. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dabei nicht nur Umsetzer, sondern aktive Mitgestalter: als Vortragende, als Teilnehmende im MBA-Programm oder in speziellen Führungskräfteseminaren zum Thema Nachhaltigkeit und Transformation. Dieses ständige In-Bewegung-Bleiben ist das, was Stiegl ausmacht.
Herr Reifer, wie arbeiten Sie mit Unternehmen, die ein solches Mindset erst entwickeln müssen? Reifer: In unserer täglichen Arbeit holen wir die Unternehmen da ab, wo sie gerade stehen. Manche Branchen - wie Brauereien - sind von Natur aus näher an nachhaltigen Themen dran als etwa Maschinenbauer. Je nach Entwicklungsstand braucht es unterschiedliche Interventionen. Einmal ist der Einstieg, den CO₂-Fußabdruck zu berechnen, einmal geht es um tiefere Fragen wie den Purpose. Daraus entsteht ein Dialog und daraus wiederum ein Transformationsweg, der bei jedem Unternehmen anders ausschaut. Wir begleiten diesen Weg - nicht als klassische Berater, sondern als Impulsgeber. Die Veränderung muss aus dem Unternehmen selbst heraus entstehen.
Warum kommen wir am Thema Nachhaltigkeit nicht mehr vorbei? Reifer: Wenn ich Studierende frage, was die Aufgabe eines Unternehmens ist, kommt fast immer: "Gewinne erzielen, wachsen." Selten kommt: "Etwas Gutes für die Welt tun." Das zeigt, wie stark das kapitalistische Wachstumsmodell in unseren Köpfen verankert ist. Dabei hat der Club of Rome schon 1972 gewarnt, dass es ein Umdenken braucht. Seitdem hat sich alles massiv beschleunigt: Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch, geopolitische Spannungen. Das kann man nicht ignorieren. Deshalb müssen sich Unternehmen heute fragen: Was kann ich Positives zur Welt beitragen - und dabei trotzdem wirtschaftlich sein? Und klar, es gibt auch den regulatorischen Druck vonseiten der EU.
Vockner: Was man merkt - gerade seit Corona - ist, dass Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft im Recruiting ein Riesenthema geworden sind. Die Leute suchen gezielt Unternehmen, in denen Sinnerfüllung möglich ist, mit ehrlichen Projekten, nicht nur schönen Worten auf der Website. Gerade für junge Menschen ist das selbstverständlich. Die sagen ganz klar: Gewinn, ja, aber bitte auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen. Greenwashing wird da schnell erkannt und abgelehnt. Und was uns beim Wildshut-Campus besonders wichtig ist: Wir haben einen systemischen Zugang. Menschen wollen Teil eines großen Ganzen sein, eines sinnvollen Systems. Und genau diesen Raum schaffen wir - für Austausch, sinnvolles Tun, echte Wirkung.
Mehr Infos:www.wildshut.at/wildshutcampus